Figu­ren ken­nen­ler­nen
Schritt 4 – Wie tickt dei­ne Figur?

Du weißt jetzt schon wirk­lich sehr viel über dei­ne Figur. Du weißt, wie sie sich klei­det, wie sie sich bewegt, wie sie spricht, wie sie wohnt, wel­cher Arbeit sie nach­geht (bzw. wel­che Schu­le sie besucht/ was sie stu­diert)
Du weißt, wel­che Bil­der an ihren Wän­den hän­gen, du weißt, ob sie beliebt ist oder nicht, wie sie auf­wächst bzw. auf­ge­wach­sen ist, ob sie beliebt ist oder ob sie gemobbt wird …

Erst jetzt wid­men wir uns dem Cha­rak­ter dei­ner Figur.

Die Fra­ge, die du dir heu­te stel­len soll­test:

Ist dei­ne Figur im Gro­ßen und Gan­zen ein posi­tiv oder ein nega­tiv den­ken­der Mensch?

Man­che Men­schen sehen alles sofort in einem posi­ti­ven Licht. Sie gehen an Her­aus­for­de­run­gen mit einer gro­ßen Por­ti­on posi­ti­ver Ener­gie her­an. Wenn ihnen etwas miss­lingt, sind sie zwar ent­täuscht, aber sie sagen sich: Ach, dies­mal ist es mir nicht so gut gelun­gen, aber nächs­tes Mal mache ich es bes­ser. Opti­mis­ti­sche Men­schen haben meist das grö­ße­re Ver­trau­en in ihr Kön­nen (Sie sagen sich: Das schaf­fe ich schon irgend­wie) und sie ver­trau­en auch in ande­re Men­schen. Posi­tiv den­ken­de Men­schen gehen so gut wie nie davon aus, dass ihnen jemand absicht­lich etwas Böses will.

Opti­mis­ti­sche Men­schen gehen auch mit Schick­sals­schlä­gen anders um als nega­tiv den­ken­de Men­schen. Viel­leicht kennst du das: Man­che Men­schen sind sehr krank oder kör­per­lich beein­träch­tigt, man­che haben viel­leicht einen sehr lie­ben Men­schen durch einen Unfall ver­lo­ren, den­noch erho­len sie sich nach einer Schock- oder Trau­er­pha­se wie­der. Sie hadern nicht mit ihrem Schick­sal, sie fra­gen sich nicht: “Wie­so pas­siert das nur mir?” – weil sie ganz genau wis­sen, dass es jedem pas­sie­ren kann. Sie machen das Bes­te aus jeder Situa­ti­on. Ihre Fröh­lich­keit wirkt echt. Wir füh­len uns in der Gegen­wart sol­cher Men­schen meist sehr wohl, denn wirk­lich posi­tiv den­ken­de Men­schen gehen auf ande­re sehr offen­her­zig zu.

Im Gegen­satz dazu gibt es Men­schen, die vie­les (oder auch wirk­lich alles) im nega­ti­ven Licht sehen.
Eine pes­si­mis­ti­sche Per­son, die wäh­rend einer Grip­pe­wel­le in der U‑Bahn steht wird sich wahr­schein­lich den­ken: „O mein Gott. Da hat einer geniest. Jetzt wer­de ich bestimmt auch krank!“ 
Wenn ein pes­si­mis­ti­scher Mensch gera­de ein Vor­stel­lungs­ge­spräch hin­ter sich gebracht hat, denkt er (selbst wenn das Vor­stel­lungs­ge­spräch wirk­lich gut lief) : „Ach, die­se Stel­le bekom­me ich sowie­so nicht.“

Und nun stell dir eine posi­tiv und eine nega­tiv den­ken­de Per­son vor, wenn es bei­spiels­wei­se um die Kli­ma­kri­se geht.
Opti­mis­ti­sche Men­schen haben wahr­schein­lich die Hoff­nung, das Ruder doch noch her­um­rei­ßen zu kön­nen. Natür­lich wis­sen sie: Es ist 5 nach 12, wir müs­sen end­lich (end­lich!) han­deln. Aber sie glau­ben auch ganz fest dar­an, dass ihr Han­deln etwas bewir­ken kann.
Ein pes­si­mis­ti­scher Mensch denkt viel eher: Ach, wozu die gan­ze Mühe, es ist eh schon viel zu spät.
Eine pes­si­mis­ti­sche Per­son zu moti­vie­ren ist daher auch viel schwie­ri­ger, als eine opti­mis­ti­sche Per­son zum Han­deln zu brin­gen. Nicht sel­ten sind Optimist*innen daher ins­ge­samt auch viel akti­ver als Men­schen, die immer nur nega­tiv den­ken und vor sich hin grum­meln.

Aber Vor­sicht – tap­pe nicht in die Kli­schee-Fal­le! 
Auch opti­mis­ti­sche Men­schen haben pes­si­mis­ti­schen Pha­sen und umge­kehrt kann eine pes­si­mis­ti­sche Per­son sich von der Eupho­rie eines ande­ren Men­schen durch­aus mit­rei­ßen las­sen.

Span­nend wird es vor allem auch dort, wo Selbst- und Fremd­wahr­neh­mung aus­ein­an­der­ge­hen.
Viel­leicht kennst du Men­schen, die sich nach außen hin total fröh­lich geben. Sie lachen meist extra laut und viel und rei­ßen doo­fe Wit­ze. In Wirk­lich­keit aber sind sie ziem­lich trau­rig. Im ech­ten Leben durch­schau­en nur weni­ge die­ses Rol­len­spiel – denn dazu braucht es Men­schen­kennt­nis und vor allem Inter­es­se an der Per­son. (Wenn wir eine Geschich­te schrei­ben, muss die­ses Inter­es­se immer da sein – wir müs­sen alles über die Figu­ren, die wir erfin­den, wis­sen, damit sie den­ken und han­deln wie Men­schen im ech­ten Leben und nicht platt wir­ken.)

Natür­lich fühlt man sich nicht immer gleich. Es gibt in jedem Leben glück­li­che und trau­ri­ge­re Momen­te. Aber jeder Mensch hat so etwas wie eine gewis­se Grund­stim­mung. So wie jedes Musik­stück einen Grund­ton hat. Es gibt Men­schen, die einen eher depres­si­ven Cha­rak­ter haben und sich sehr oft schwer tun, Freu­de zu emp­fin­den. Ande­re sind sehr ängst­lich. Wie­der ande­re sind sehr oft ver­un­si­chert und bezie­hen alles auf sich (“Die lachen mich bestimmt aus”, den­ken sie oder: “Der mag mich nicht, weil er immer weg­schaut” .…). Man­che Men­schen haben stän­dig Angst zu ver­sa­gen.
Es gibt Men­schen, die sich in fast jeder Situa­ti­on als Opfer wahr­neh­men. Selbst wenn ihnen der Bus davon fährt, den­ken sie: “Eh klar, dass das schon wie­der mir pas­siert.”

Vie­le nega­tiv den­ken­de Men­schen wün­schen sich übri­gens sehn­lichst, end­lich opti­mis­ti­scher den­ken zu kön­nen, aber es gelingt ihnen ein­fach nicht. Man­che geben sich des­we­gen fröh­li­cher als sie sind, weil sie Angst haben, dass man sie nicht mögen könn­te, wenn sie ihre pes­si­mis­ti­schen Gedan­ken laut aus­spre­chen.
Es gibt Pessimist*innen, die ziem­lich unter­halt­sam sein kön­nen. Sie machen oft iro­ni­sche Bemer­kun­gen, die ande­re zum Lachen brin­gen. Und Vor­sicht: nicht jede*r Pessimist*in ist depres­siv.

Sieh dir den Cha­rak­ter und das Den­ken dei­ner Haupt­fi­gur genau an. Denkt er oder sie: Ach, die Nach­rich­ten, die hör ich mich gar nicht an, und von der Kli­ma­kri­se will ich gar nichts wis­sen! Oder macht er oder sie gern zyni­sche Bemer­kun­gen? Ist dei­ne Haupt­fi­gur har­mo­nie­be­dürf­tig oder strei­tet sie gern und oft? Ist sie direkt oder sagt sie nur das, was ande­re ihrer Mei­nung nach wären wol­len?

Und wie sieht es mit den ande­ren Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten aus?
Ist sie wage­hal­sig oder ängst­lich (man­che sind z.B fei­ge, wenn es dar­um geht, von einer Mau­er zu sprin­gen, haben aber kei­ne Angst davor, den Job zu kün­di­gen – oder auch umge­kehrt).
Ist dei­ner Figur wich­tig, was ande­re über sie den­ken?
Wie sieht es mit der Lie­be aus? Liebt dei­ne Haupt­fi­gur gern lei­den­schaft­lich und inten­siv (und lei­det sie gern), oder gehört sie zu den Men­schen, die eine ver­trau­te Wär­me bevor­zu­gen? Oder kennt sie bei­de Arten zu lie­ben?
Wie sieht es mit dem Selbst­ver­trau­en dei­ner Figur aus? Glaubt sie an sich selbst oder zwei­felt sie oft an sich? Hat dei­ne Haupt­fi­gur oft Angst zu ver­sa­gen oder geht sie zuver­sicht­lich ans Werk?
Was bedeu­tet Fami­lie für dei­ne Haupt­fi­gur?
Küm­mert sich dei­ne Figur gern um ande­re – oder denkt sie meist nur ans eige­ne Wohl­erge­hen?

Viel­leicht hel­fen dir mei­ne Fra­gen. Natür­lich gibt es auch vie­le ande­re Aspek­te eines Cha­rak­ters …


Hier noch eine klei­ne Übung:
Stell dir dei­ne Haupt­fi­gur (oder auch jede ande­re Figur) in den unten beschrie­be­nen Situa­tio­nen vor. Wie reagiert sie? Wie die Per­so­nen in mei­nem Bei­spiel? Oder ganz anders? Denk dir auch eige­ne Situa­tio­nen aus, wenn du möch­test. Du kannst auch jetzt schon einen Inne­ren Mono­log zu einer Situa­ti­on schrei­ben!

posi­ti­ve Gedan­kennega­ti­ve Gedan­ken
O wie schön, heu­te schneit es! Ich lie­be die­se roman­ti­sche Win­ter­land­schaftMan­no­mann, schon wie­der Schnee, dann kommt der Bus wie­der zu spät und am Nach­mit­tag ist alles wie­der vol­ler Matsch.
Mei­ne Nach­ba­rin hat mich heu­te gar nicht gegrüßt. Die hat wohl an was Ande­res gedacht. (Viel­leicht ist sie ja ver­knallt und träumt vor sich hin, hihi)Mei­ne Nach­ba­rin ist ein­fach an mir vor­bei­ge­lau­fen ohne zu grü­ßen. Die hat auch kei­ne Manie­ren. Dabei hab ich ihr doch gar nichts getan!
Ach ver­dammt, Fie­ber. Und das, obwohl ich mich so sehr auf die Par­ty gefreut habe! Ich könn­te heu­len, Aber was soll’s , es hat ja eh kei­nen Sinn. Mei­ne bes­te Freun­din hält mich sicher über Whats­App auf dem Lau­fen­den, so kann ich wenigs­tens ein biss­chen dabei sein. Und ich werd mir end­lich mal die letz­ten Fol­gen mei­ner Lieb­lings­se­rie anse­hen, jetzt hab ich ja genü­gend Zeit. Ach, ver­dammt, Fie­ber. Das kann auch nur mir pas­sie­ren – typisch, dass ich aus­ge­rech­net am Tag der Par­ty krank wer­de. Alle ande­ren wer­den sich sicher toll amü­sie­ren. Und dann wer­den sie mir auch noch scha­den­fro­he Fotos per Whats­App schi­cken. Ich has­se mein Leben!
Oh, die zwei dort drü­ben kichern aber viel. Wenn ich ihnen noch län­ger zuse­he, bekom­me ich bestimmt auch noch einen Lach­krampf.Die zwei da drü­ben viel­leicht blöd
/ Die zwei da drü­ben lachen mich bestimmt aus.
Uff, die­se Haus­übung ist ganz schön schwie­rig. Ich werd mal mei­ner Freun­din tex­ten und fra­gen, ob es ihr auch so geht wie mir, oder ob bloß ich auf der Lei­tung ste­he.Mann. Ich kann das nicht. Ich kapier das nicht! Ich bin ein­fach zu blöd. Bestimmt werd ich auch die Schul­ar­beit nichts schaf­fen.
Ui, das wird ganz schön knapp mit dem Anschluss-Zug. Aber es wird sich schon aus­ge­hen, muss ich mich halt beei­len beim Bahn­steig-Wech­sel. Was? Nur 3 Minu­ten zum Umstei­gen? Das ist wie­der typisch! Bestimmt ver­spä­tet sich der ers­te Zug, dann erwi­sche ich den Anschluss nie!
Hm. Mei­ne Freun­din ver­spä­tet sich heu­te ganz schön. Und am Han­dy ist sie auch nicht erreich­bar. Wahr­schein­lich Funk­loch. Naja. Sie wird schon kom­men, ich kann inzwi­schen ja mei­nen Pod­cast wei­ter­hö­ren, dort drü­ben ist sogar eine gemüt­li­che Sitz­bank. Jetzt ist es schon 12 Minu­ten nach der ver­ein­bar­ten Zeit. Typisch. Dass ich mir hier die Bei­ne in den Bauch ste­he, ist ihr wie­der mal egal! Sie hat ja nicht mal auf mei­ne Nach­richt reagiert! Das fin­de ich echt total ego­is­tisch.

Bücher, in denen pes­si­mis­ti­sche Men­schen die Haupt­rol­le spie­len.

Ich lie­be pes­si­mis­ti­sche Men­schen in Bücher. Zwei Jugend­ro­ma­ne, die ich beson­ders ger­ne mag sind:

– „Opti­mis­ten“ ster­ben frü­her“ von Sus­in Niel­sen.
Die­ses Buch habe ich bereits auf mei­nem Blog vor­ge­stellt. In dem Roman geht es um Petu­la die sich wirk­lich immer die aller­schlimms­te Sze­na­ri­en vor­stellt, die ihr zusto­ßen könn­ten. Des­we­gen traut sie sich nicht in den Lift und um die Bau­stel­le macht sie auch immer einen gro­ßen Bogen. Petu­la kennt näm­lich die Sta­tis­ti­ken und weiß: Wer vor­sich­tig ist, lebt län­ger! (Natür­lich lebt man aber nicht unbe­dingt bes­ser, wenn man immer nur Angst hat. Mehr zum Buch fin­dest zu >HIER)

Viel­leicht kennst du den Roman „Schlaft, ihr fie­sen Gedan­ken“ von John Green?
Das ist einer mei­ner abso­lu­ten Lieb­lings-Jugend­ro­ma­ne!!!
Aza ist 16 Jah­re alt und muss bei jeder Berüh­rung an die Bak­te­ri­en den­ken, die dabei aus­ge­tauscht wer­den. Küs­sen wird dadurch zu etwas extrem Bedroh­li­chem. – Das Tol­le an der Geschich­te: Aza ist irgend­wie ein tota­ler Freak. Aber der Autor beschreibt sie so lie­be­voll, dass wir uns total gut in sie hin­ein füh­len kön­nen. Das Buch ist unheim­lich klug und wit­zig geschrie­ben (und es gibt auch eine Lie­bes­ge­schich­te dar­in, die eine ganz beson­de­re ist).

In bei­den Roma­nen ler­nen wir die  Prot­ago­nis­tin­nen so rich­tig gut ken­nen. Wir bekom­men mit, wie sie in ver­schie­de­nen Situa­tio­nen reagie­ren, wie sie auf ihr Umfeld wir­ken und was sie selbst den­ken. Wir ler­nen ihre Ver­gan­gen­heit ken­nen und auch ihre Zukunfts­wün­sche. Das bewirkt, dass wir uns gut in sie hin­ein­ver­set­zen kön­nen – selbst wenn sie ganz anders ticken als wir.

Und das ist doch das eigent­lich Tol­le an der Lite­ra­tur – dass wir in Men­schen schlüp­fen kön­nen, die anders sind als wir. Immer­hin ler­nen wir dadurch, die Men­schen in unse­rem Umfeld bes­ser zu ver­ste­hen. (Ganz abge­se­hen ler­nen wir beim Lesen, wie wir selbst unse­re Figu­ren plas­tisch beschrei­ben. Ach­te beim Lesen ein­mal dar­auf, wel­chen Cha­rak­ter die Figu­ren haben – den­ken sie eher posi­tiv oder nega­tiv?)

Das nächs­te Mal geht es dann um die Geheim­nis­se … da sind wir dann aber schon beim The­ma