Es regnet in Pécs. Und es ist kalt. Die Heizung höher gedreht, die Kuschelweste eng um den Körper geschlungen. Heißer Kaffee. Im Theaterstück rasten die Leute in ihrer heilen Welt aus, in der realen Welt tun sie es sowieso. Die Bilder, von denen unser Außenminister meint, dass wir sie aushalten müssen, werden zur täglichen Normalität.
In meinem Schreibdokument wird die Welt geflutet. Reset. Es wird ohnehin kommen. Die Erde wird sich erholen. Unsere Waffen und Toten sind ihr egal, die Atombomkraftwerke werden ihr auch nichts anhaben. Nicht einmal die verschmutzen Flüsse und gerodeten Regenwälder. Das Leben werden wir auslöschen können, den Planeten nicht. Wir sind nur ein paar Sekunden Erdgeschichte. Da fragt man sich, was es für einen Sinn macht, ein Theaterstück zu schreiben.
Die Menschen posten Bilder aus Idomeni, ich trinke Kaffee, in meinem Kopf reist Philipp nach Međugorje, um Tikvica zu finden.
Neulich schrieb mir eine Leserin: Sie möge meine Romane, ja, sie schätze mich als Schriftstellerin, aber ich solle mich doch bitte nicht so aufregen, so übel sei das, was passiere, nun auch wieder nicht. Als ich ihre FB-Seite ansah, entdeckte ich gerettete Stöckelschuhe und Netflix-Serien. Vielleicht hat sie recht. Vielleicht sollten wir uns die Birne mit Netflix-Staffeln wegpusten. Mit der Frage, welche Schuhe wir wegwerfen könnten, kommen wir gerade noch klar. Egal, wie wir uns entscheiden, die Wahl wird keinen allzu großen Einfluss auf unser Leben haben. Wir mögen es vielleicht kurz bereuen, Schuhe weggeworfen zu haben, die in 4 Jahren wieder in Mode kommen könnten, aber es fällt uns kein Bein ab. Nicht einmal eine Lungenentzündung bekommen wir vor dem Humana-Container.
Gerade bekomme ich ein Mail: Wenn ich als Pensionistin Tantiemen an heute geschriebenen Werken verdienen werde, werde ich mit Einbußen zu rechnen haben. Vielleicht sollte ich Netflix-Serien schreiben.
Vorhin bin ich mit dem Schirm hinaus, um die angekündigte Demo anzuschauen. Statt Transparenten hielten die Leute Regenschirme über den Köpfen, es wurde artig geklatscht. Bis auf das Wort “demokrácia“verstand ich nichts. Ich stand daneben und langweilte mich.
Ich bin müde geworden. Ich ziehe mich in meine Pécser Wohnung zurück und lasse Wasser in die Wanne laufen. Suche mir eine Platte auf Youtube aus. Während die Wanne vollläuft, versuche ich, etwas auf Deutsch zu den Demos zu finden.*
Vielleicht sollte ich auch diese Milch trinken, die den Menschen Harmonie und Liebe vorgaukelt. Alle Erinnerungen löschen. Das Intranet zeigt nur noch Katzenfotos und Gartenpflanzen. Hinter dem goldenen Käfig werden wir uns einreden, dass alles besser ist und vor Netflix und Amazon Prime verfaulen. Wenn Gott die Welt jetzt flutet, wäre es nicht schade. Wir würden es nicht einmal mitbekommen. Das Wasser fließt in unsere offen stehenden Wohlstandsmäuler und vermengt sich mit Paprika-Chips. Vielleicht schickt Gott ja eine Arche nach Idomeni.