An jenem Abend, an dem die Kat­zen vom Him­mel fie­len, hat­te es den gan­zen Tag zuvor gereg­net. Wir waren im Hotel­zim­mer geblie­ben, hat­ten auf den Moni­tor mit der Wet­ter­an­zei­ge gese­hen, gele­sen, fern­ge­se­hen, geschla­fen, geraucht, hat­ten uns von Zeit zu Zeit ans Fens­ter gestellt und auf die bun­ten Regen­schir­me hin­un­ter geschaut, uns in den Arm genom­men, gekit­zelt und uns dum­me Geschich­ten erzählt. Am Nach­mit­tag hat­ten es im Fern­se­hen einen alten Bruce Wil­lis Film gezeigt, in dem viel gebal­lert wur­de, und obwohl wir ihn bis zum Ende geschaut hat­ten, konn­ten wir her­nach bei­de nicht sagen, wor­um es in dem Film eigent­lich gegan­gen war. 

Gegen sechs ließ der Regen dann end­lich nach, die Schir­me ver­schwan­den von der Stra­ße, also schlug ich vor, etwas essen zu gehen. Wir zogen uns die Pull­over und Regen­ja­cken über, schlüpf­ten in unse­re Schu­he und zogen die Zim­mer­tür hin­ter uns zu. 

In der Stadt war nicht viel los, anders als am Vor­abend, an denen die Men­schen in Schlan­gen an uns vor­bei­ge­lau­fen waren, von einem Bis­t­rot zum nächs­ten, als wür­den sie end­lo­se Schlei­fen durch die klei­ne Innen­stadt zie­hen.
Dies­mal gin­gen wir in eine Piz­ze­ria am Fluss. Mein Mann bestell­te eine Piz­za mit Roh­schin­ken und Ruc­co­la, ich ent­schied mich für ein def­ti­ges Natio­nal­ge­richt. Da man in den Restau­rants nicht rau­chen durf­te, hat­ten wir uns trotz des küh­len Wet­ters an einen der Tische im Gast­gar­ten gesetzt. Die Leu­te tru­gen nun kei­ne San­da­len mehr, son­dern geschlos­se­ne Schu­he, und bald fiel uns auf, dass es schwe­re Stie­fel waren, Stie­fel, die zu Uni­for­men gehör­ten. Viel­leicht eine Para­de, wahr­schein­lich mar­schier­ten die Vete­ra­nen auf, den die meis­ten waren alt und hat­ten wei­ße Schnurr­bär­te auf den Ober­lip­pen sit­zen.
Wir starr­ten wort­los in den Fluss, füt­ter­ten die Spat­zen mit Piz­za­res­ten, war­fen ihnen immer grö­ße­re Bro­cken zu und wun­der­ten uns, wie gie­rig sie waren und mit welch gro­ßer Last sie noch flie­gen konn­ten. Die Spat­zen waren unglaub­lich fett, offen­sicht­lich waren wir nicht die ein­zi­gen Tou­ris­ten, die sie mit Piz­za­res­ten füt­ter­ten. Der Restau­rant­be­sit­zer sah uns böse an und klatsch­te in die Hän­de, dabei schüt­tel­te er den Kopf als wären wir unge­zo­ge­ne Kin­der. Er nahm uns den Tel­ler mit den Piz­za­res­ten weg und frag­te, ob wir noch etwas woll­ten, eine Nach­spei­se viel­leicht? Wir bestell­ten Espres­so und Cap­puc­ci­no und füt­ter­ten die Spat­zen, wann immer der Kell­ner im Inne­ren des Restau­rants ver­schwun­den war, mit Kara­mell­kek­sen. Danach tru­gen wir unse­re vol­len Bäu­che durch die Gas­sen, gin­gen ein­ge­hängt wie ein altes Ehe­paar und stöhn­ten laut. 

Auf dem Vor­platz einer Kir­che war ein Podi­um auf­ge­baut, mit roten Tep­pi­chen, auf die Absperr­git­ter waren Nel­ken gebun­den. Über­all stan­den Uni­for­mier­te, trotz­dem konn­te nicht fest­stel­len, ob die Ver­an­stal­tung bereits vor­bei war, oder erst begin­nen wür­de. Also spa­zier­ten wir wei­ter, den Fluss ent­lang bis zu dem klei­nen Café mit den brau­nen Son­nen­schir­men und den gemüt­li­chen Sofa­ses­seln, wo man Kakaos und Cock­tails in allen erdenk­li­chen Geschmacks­rich­tun­gen und auch Mousse au Cho­co­lat anbot. Ich bestell­te Kakao mit Kar­da­mom und Zimt, mein Mann noch einen Cap­puc­ci­no, dazu teil­ten wir und sein Scho­ko­la­den­mousse. Außer ein paar Stu­den­ten, die sich mit­ein­an­der auf Eng­lisch unter­hiel­ten, waren wir die ein­zi­gen Gäs­te. Einer der Kell­ner kehr­te lust­los das feuch­te Laub von einer Ecke zur ande­ren, am Fluss fuhr ein Boot mit einer Rock­band vor­über, die Musik wur­de lau­ter, dann wur­de es wie­der still, und das blieb es auch ein paar Minu­ten. Bis die Hub­schrau­ber kamen.

Einer stot­ter­te so stark, dass ich sag­te: »Hof­fent­lich fliegt uns der nicht auf den Kopf.«
Am Gast­gar­ten hetz­ten Pas­san­ten vor­bei, sie hiel­ten sich rie­si­ge Regen­schir­me über den Kopf und schie­nen es sehr eilig zu haben, was uns wun­der­te, denn auf dem Asphalt zer­platz­te kein eini­ger Regen­top­fen.
«Selt­sa­me Men­schen sind das hier», sag­te mein Mann, und ich frag­te ihn, ob wir uns noch ein Vanil­le­mousse mit Erd­bee­ren tei­len woll­ten, oder ob wir doch bes­ser ins Hotel zurück soll­ten. 
»Im Hotel­zim­mer waren wir doch sowie­so den gan­ze Tag«, stell­te er fest.

Die Hub­schrau­ber kreis­ten nun unab­läs­sig über dem Café.
»Viel­leicht eine Mili­tär­schau«, sag­te ich und dach­te an die Uni­for­mier­ten.
Der Lärm begann mich zu ner­ven und ich wun­der­te mich, dass die Stu­den­ten am Neben­tisch so unbe­küm­mert wei­ter plau­der­ten, nicht ein­mal die Köp­fe hoben, son­dern ein­fach nur ein wenig lau­ter wur­den um ein­an­der zu ver­ste­hen. 

Wir sta­chen mit unse­ren Löf­feln in das Mousse, hier war es jetzt nicht mehr gemüt­lich. Gera­de als ich dem Kell­ner einen Zwan­zi­g­eu­ro­schein über­gab, fiel plötz­lich etwas auf den Schirm über uns. Ich zuck­te zusam­men.
Der Kell­ner klaub­te unbe­küm­mert das Rest­geld her­aus und ver­schwand, wäh­rend mein Mann auf den Riss im Schirm starr­te.
»Viel­leicht ein Ast?«, frag­te ich.
Erst tags zuvor hat­te ein Wind­stoß einen rie­si­gen Son­nen­schirm aus sei­ner Ver­an­ke­rung geho­ben und in den Fluss geweht, das war in einem ande­ren Café gewe­sen, und auch dort hat­te die Kell­ne­rin nur kurz über das Gelän­der geschaut und mit den Schul­tern gezuckt.
»Gehen wie ?«, fra­ge mein Mann.
Ich nick­te. Gera­de als ich auf­ste­hen woll­te, spür­te ich eine sam­te­ne Berüh­rung an mei­ner nack­ten Wade. Es war eine blau­graue Kat­ze, die mir um die Bei­ne strich. Ein schö­nes Exem­plar, rein­ras­sig, kein gewöhn­li­cher Haus­ti­ger.
»Ist das nicht eine Bur­ma­kat­ze?«
Wir bewun­der­ten das sei­di­ges Fell und den kraft­vol­len Kör­per­bau. Mein Mann, der Kat­zen über alles liebt (wir haben selbst drei zu Hau­se) beug­te sich über das Tier. Die Kat­ze ließ sich sei­ne Strei­chel­ein­hei­ten ein paar Sekun­den lang gefal­len, dann trot­te­te sie mit stolz erho­be­nem Kopf und auf­ge­stell­ter Schwanz­spit­ze davon. Mitt­ler­wei­le hat­te es wie­der ein wenig zu nie­seln begon­nen, also set­zen wir uns die Kapu­zen unse­rer Regen­ja­cken auf und mar­schier­ten zurück zum Hotel.

Vor dem Lift begeg­ne­te uns die Kat­ze aber­mals. Mein Mann mein­te zwar, es hand­le sich um eine ande­re Kat­ze, der Schwanz sei etwas buschi­ger als der der ers­ten, hielt es dann aber auch für unwahr­schein­lich, dass wir an einem Abend gleich zwei streu­nen­de Bur­ma­kat­zen sahen. Wir stie­gen in die Lift­ka­bi­ne, die Kat­ze blieb davor sit­zen und sah uns blin­zelnd an, bis sich die Türen schlos­sen. 

Wir hat­ten gera­de die Tür zu unse­rem Zim­mer geöff­net, als wir lau­tes Pol­tern hör­ten. Das Geräusch schien vom Fens­ter zu kom­men, und tat­säch­lich, als wir nach­schau­en woll­ten krach­te etwas so hart gegen die Schei­be, dass wir uns unwill­kür­lich duck­ten.
»Was zum Teu­fel ist das?«, schrie ich.
Vom Him­mel fie­len gro­ße dunk­le Bro­cken, immer wie­der don­ner­te einer davon gegen die Schei­be, aber kei­ner von uns wag­te es, näher ans Fens­ter zu tre­ten. Und dann, nach etwas einer hal­ben Minu­te, war es plötz­lich wie­der still. Nur die Hub­schrau­ber kreis­ten noch ein paar Minu­ten über den Dächern der Stadt, aber schließ­lich zogen auch sie ab. 

Wir stell­ten uns end­lich ans Fens­ter und sahen hin­un­ter auf die Stra­ße. Aber da waren kei­ne rie­si­gen Eis­bro­cken zu sehen, alles schien auf den ers­ten Blick völ­lig nor­mal. Bis wir die Kat­zen sahen. Es muss­ten Hun­der­te sei, die auf dem Trot­toire lie­fen, und als mein Mann das Fens­ter öff­nen woll­te, ent­deck­te er, dass auf der Schei­be Fell kleb­te.
»Burm­kat­zen?«, frag­te mein Mann und dann: »Aber da ist doch völ­lig unmög­lich, oder?«
Ich griff nach sei­ner Hand, krall­te mei­ne Fin­ger­nä­gel in das wei­che Fleisch sei­nes Hand­bal­lens. Die Stra­ße unter unse­rem Fens­ter war nun wie­der leer, kei­ne ein­zi­ge Kat­ze war mehr zu sehen. 

Auch sonst war es jetzt ganz still. Kein Moto­ren­ge­räusch, kein Pol­tern.

»Glaubst du, man hat sie aus den Flug­zeu­gen gewor­fen?«, frag­te ich, aber mein Mann ant­wor­te­te nicht, son­dern starr­te mit rat­lo­sem Gesichts­aus­druck auf die Kat­zen­haa­re, die an der Schei­be kleb­ten, als müs­se er sich ver­ge­wis­sern, dass sie wirk­lich da waren. 

Auf der gegen­über­lie­gen­den Stra­ßen­sei­te tauch­te nun ein Mann auf, in der Hand hielt er einen rie­si­gen Schirm, den er jedoch nicht auf­ge­spannt hat­te. Ich woll­te ihm zuschrei­en, »Haben Sie das auch gese­hen?«, woll­te ich fra­gen, doch dann fiel mir ein, dass der Mann bestimmt kein Deutsch ver­stand, und bis mir die Idee kam, ihn auf Eng­lisch zu fra­gen, war er längst um die Ecke gebo­gen.

Wir schau­ten noch eine Wei­le aus dem Fens­ter, doch es blieb jetzt ruhig, und wären da nicht die Kat­zen­haa­re am Fens­ter gewe­sen, hät­ten wir wohl bei­de geglaubt, in einem Traum gefan­gen zu sein. So aber zwick­ten wir uns gegen­sei­tig in die Hand und schließ­lich lachen wir, zuerst lei­se und ver­le­gen und schließ­lich ging unser Lachen in hys­te­ri­sches Kichern über.
Wir zapp­ten uns durch die Kanä­le des Hotel­fern­se­hers, doch wir fan­den nur Rea­li­ty Shows, Kri­mi­sen­dun­gen und Natur­do­ku­men­ta­ti­on, und selbst auf dem Nach­rich­ten­sen­der sprach nie­mand über vom Him­mel gefal­le­ne Bur­ma­kat­zen.
Auch in der Hotel­bar war alles wie immer. Ein paar Gäs­te saßen auf Sofa­ses­seln und unter­hiel­ten sich lei­se, an der Bar stand ein ein­zel­ner Mann und starr­te gelang­weilt in sein Bier.
»Awful wea­ther«, sag­te mein Mann, als er beim Kell­ner zwei Gin Tonic bestell­te. 
»Unfort­u­nal­ly«, ant­wor­te­te die­ser. »But tomor­row, the­re should be sun.«

»Wir müs­sen uns das ein­ge­bil­det haben«, sag­te mein Mann, als sich der Kell­ner ent­fern­te, und ich bekam Lust, auf ihn ein­zu­schla­gen, denn wie konn­te er das sagen, immer­hin hat­ten wir es doch bei­de gese­hen. 
»Und das Fell?«, schrie ich hys­te­risch. 
»Ich habe die Kat­ze gestrei­chelt und die Schei­be berührt, so muss es gewe­sen sein«, sag­te mein Mann lei­se, da die ande­ren bereits in unse­re Rich­tung blick­ten.

~~~

In der Nacht träum­te ich, in den Früh­stücks­raum zu gehen. Über­all saßen Kat­zen, auf dem Schin­ken, auf der Sala­mi und auf dem Käse, sogar in der Mar­me­la­de und in der Joghurtschüs­sel, der gan­ze Boden war mit Früh­stücks­flo­cken über­sät, und auf den Tischen waren die Kaf­fee­kan­nen umge­kippt. Dies­mal wach­te ich wirk­lich auf, fand mich schweiß­ge­ba­det im Bett wie­der. Ich kipp­te das Fes­ter, es war feucht vom Regen, aber man konn­te noch immer die Stel­le sehen, gegen die der Kat­zen­kör­per geprallt war. Ich leg­te mich wie­der ins Bett und kuschel­te mich eng an mei­nen Mann.
»Lass uns mor­gen in der Früh abrei­sen, ich mag hier nicht mehr blei­ben«, schlug ich vor.

Noch vor dem Früh­stück pack­ten wir. Im Restau­rant waren wir die ein­zi­gen Gäs­te, nur die Zustän­di­ge fürs Früh­stück stand gelang­weilt in der Ecke, fal­te­te Ser­vi­et­ten und strich über die zusam­men­ge­leg­ten Tisch­de­cken. Dazwi­schen schrieb sie etwas auf einen Block, auf dem bereits ein­zel­ne Wör­ter in einer senk­rech­ten Rei­he stan­den, viel­leicht die Lebens­mit­tel, die für das nächs­te Früh­stück besorgt wer­den muss­ten, viel­leicht aber war es auch eine pri­va­te Ein­kaufs­lis­te. 

Als wir zum Bahn­hof gin­gen, waren wir die ein­zi­gen Men­schen auf der Stra­ße. Über­all in den Haus­ein­gän­gen und Park­an­la­gen saßen blau­graue Kat­zen, put­zen sich das Fell oder räkel­ten sich in der Mor­gen­son­ne. Wir grif­fen uns an den Hän­den, beschleu­nig­ten unse­ren Schritt und ver­such­ten, nicht zu ren­nen. Die Kat­zen sahen uns gelang­weilt nach, ein­mal lief mir eine zwi­schen die Bei­ne und schmier­te sich an mei­nen Unter­schen­keln, als wol­le sie gestrei­chelt wer­den, doch ich bück­te mich nicht, son­dern ging wei­ter, bis das Tier auf­gab.
Am Bahn­hof leg­te sich eine der Kat­zen schnur­rend neben uns auf die Bank, roll­te sich auf den Rücken und zeig­te uns ihr wol­li­ges Fell am Bauch, und fast schon hät­te ich mei­ne Hand nach ihr aus­ge­streckt, so süß sah sie aus. 
Der Zug fuhr pünkt­lich ein, und als wir sahen, dass er voll mit Rei­sen­den war, atme­ten wir erleich­tert auf. 

Bis zur Gren­ze spra­chen wir kein Wort, schau­ten nur aus dem Fens­ter und such­ten nach Kat­zen, sahen aber kei­ne. Auf hal­ber Stre­cke muss­ten wir den Zug wech­seln, dies­mal saß im Abteil nur ein jun­ger Mann und blät­ter­te in einer Zei­tung.
»Könn­te ich mir die mal kurz aus­bor­gen?«, frag­te mein Mann.
Der Rei­sen­de nick­te, fal­te­te das Blatt in der Mit­te und reich­te es ihm.
»Auch auf Kurz­ur­laub gewe­sen?«, frag­te er. Ich nick­te
Der Rei­sen­de stell­te sich als Erich vor und sag­te, er hät­te sei­ne Ver­lob­ten besucht.
»Haben Sie das Unwet­ter mit­be­kom­men?«, frag­te mein Mann, doch der Rei­sen­de ver­nein­te.
»Nein. Aber ges­tern hat es den gan­zen Tag gereg­net.«
Es raschel­te, als mein Mann sich durch die Zei­tung blät­ter­te. Der jun­ge Rei­sen­de rede­te nun unun­ter­bro­chen, erzähl­te von M., dem klei­nen Dorf hin­ter der Gren­ze, in dem sei­ne Ver­lob­te wohn­te, von ihren Eltern und der schlech­ten Infra­struk­tur. Dann stieg er end­lich aus und wir blie­ben allein im Abteil zurück.

©MPK, 2011

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