Aich­feld Stadt

Aich­feld-Stadt – ein neu­es Bal­lungs­zen­trum in der Stei­er­mark? Über die Abwan­de­rung und Initia­ti­ven dage­gen

Vor ziem­lich genau einem Jahr (Fron­leich­nam 2012) stan­den 500 neue Orts­schil­der in den Gemein­den des Mur­tals. „Aich­feld-Stadt“ konn­te man dar­auf lesen. Die Initia­ti­ve „Kraft. Das Mur­tal“  (http://kraft.dasmurtal.at/) hat einen Wunsch, den hier nicht jeder vor­be­halt­los teilt: Es soll ein neu­es Bal­lungs­zen­trum ent­ste­hen, und zwar durch die Zusam­men­le­gung von 15 Gemein­den. Aich­feld-Stadt wäre – mit 52000 Ein­woh­nern – somit die zweit­größ­te Stadt der Stei­er­mark.

Von den 15 Gemein­den hier sto­ßen vie­le anein­an­der. Wenn ich von Juden­burg nach Ober­weg gehe, fra­ge ich mich oft: Wie­so ist das nicht ein und die­sel­be Stadt? Ober­weg, das schaut ein bis­serl so aus wie das Döb­ling von Wien – eine sehr schö­ne Wohn­ge­gend. Geschäf­te braucht es hier kei­ne, die Ober­we­ger gehen nach Juden­burg zum Ein­kau­fen, die Juden­bur­ger nach Ober­weg zum Schwim­men. Wenn du ganz am Ende von Ober­weg wohnst, bist du noch immer in 20 Minu­ten im Juden­bur­ger Zen­trum – zu Fuß.

Ich ver­glei­che die Gemein­den mit Wie­ner Bezir­ken.

Knit­tel­feld, Zelt­weg und Mur­dorf erin­nern mich an den 21. + 22. Bezirk – alles sehr neu, wenn die Zünd­holz­schach­tel­bocks auch weni­ger hoch sind. Nicht beson­ders hübsch, dort will man als Tou­rist nicht gera­de hin. Alte Bie­der­mei­er­häus­chen wie in Juden­burg gibt es hier kei­ne. Auch die Men­schen in Mur­dorf erin­nern mich ein biss­chen an jene im 22. Sie sit­zen drau­ßen und löf­feln ihr Eis oder trin­ken Bier. Die Haa­re vie­ler Frau­en sind zwei­fär­big, vie­le der Män­ner tra­gen Schnauz­bär­te und/oder einen Ohr­ring, der Haus­an­zug wird hier von man­chen auch auf der Stra­ße getra­gen. (Denn jedes Kli­schee hat sei­nen Ursprung in der Rea­li­tät.)

In Kit­tel­feld wohnt mehr ein Fünf­tel der ins­ge­samt 52.000 Bür­ger, die von der Zusam­men­le­gung betrof­fen wären. An Knit­tel­feld fah­re ich vor­bei wie an Vösen­dorf. Kein Ort, für den man den Zug eine Sta­ti­on frü­her ver­lässt.

Juden­burg erin­nert mich ein biss­chen an den 8. Bezirk. Hier fin­det man enge Gas­sen, alte Häu­ser und die net­te­ren Stra­ßen­ca­fés. Aber am Abend ist hier ab 10:00 nichts mehr los. Das könn­te man von der Josef­stadt, wo die sich ein Stun­den­ten­lo­kal an das ande­re reiht und die Kul­tur­sze­ne hoch lebt, nicht behaup­ten.

Wenn es im Aich­feld reg­net, kann es ziem­lich lang­wei­lig wer­den.

Das Mur­tal ist die Regi­on Öster­reichs, die am stärks­ten von der „Land­flucht“ betrof­fen ist. Grund dafür liegt in den ver­än­der­ten Bedin­gun­gen.
Nach der Schlie­ßung des Berg­werks in Fohns­dorf sowie diver­sen Fir­men­plei­ten fehl­ten die Arbeits­plät­ze. Das Stahl­werk Juden­burg beschäf­tigt heu­te 459 Mit­ar­bei­ter. 1995 wur­de das Werk, das bis dahin zur Voest-Alpi­ne gehört hat­te, vom Stahl­werk Georgs­ma­ri­en­hüt­te über­nom­men.

Heu­te ver­sucht man, der Abwan­de­rung mit spe­zi­el­len Lehr­lings­pro­gram­men und einer bes­se­ren Ver­net­zung der regio­na­len Wirt­schaft ent­ge­gen­zu­wir­ken. Die Kin­der besu­chen das Werk schon wäh­rend der Schul­zeit und wer­den recht­zei­tig infor­miert, wel­che Ange­bo­te ihnen zukünf­tig hier offen ste­hen. Man ver­sucht also, die Jugend­li­chen für jene Berei­che des Berufs­le­bens zu inter­es­sie­ren, die hier eine Zukunft haben. Lehr­lin­ge berich­ten von ihrer Rei­se in die USA und von Besu­chen bei Part­ner­un­ter­neh­men. 

Die Schaf­fung eines neu­en Bal­lungs­zen­trum ist eine wei­te­re Initia­ti­ve, die jun­gen Leu­te in der Gegend zu hal­ten. Die For­de­rung, die Gemein­den im Aich­feld zusam­men­zu­le­gen, spukt bereits seit einem knap­pen Jahr­zehnt in den Köp­fen der Poli­ti­ker. Aber nicht alle sind dafür. Zumin­dest nicht so schnell. Eine Fusi­on sol­le nur dort statt­fin­den, wo sie Sinn mache, sagen die einen. (Bereits 2012 wur­den die Bezir­ke Knit­tel­feld und Juden­burg zum Bezirk Mur­tal zusam­men­ge­schlos­sen.) Wor­auf war­ten, sagen die ande­ren, die Angst haben, wert­vol­le Zeit und vor allem wei­te­re Ein­woh­ner zu ver­lie­ren.

In gewis­sen Berei­chen ver­sucht man jetzt schon zu koope­rie­ren. So hat nicht jede Gemein­de ein Schwimm­bad. Statt­des­sen gibt es den Bäder­bus, der die Bür­ger gra­tis von ihrem Wohn­ort ins Schwimm­bad bringt.

In den meis­ten Gemein­den ist die Orts­ta­fel-Akti­on nicht gut ange­kom­men. Die Pla­ka­te wur­den sofort wie­der ent­fernt. 

Wie stoppt man die Abwan­de­rung aus einer Gegend? Die­se Fra­ge stell­te man sich schon, als ich noch zur Schu­le ging. Ich bin ein 1976erJahrgang – also ziem­lich genau­so alt wie das Pro­blem der Abwan­de­rung in der Mur-Mürz-Fur­che.

Ich fah­re mit dem Bus Rich­tung Fohns­dorf. Vom Vor­bei­fah­ren weiß ich, dass sich auf hal­bem Weg ein Ein­kaufs­zen­trum befin­det, die „Are­na“. Dort gibt es einen PAGRO. Ich brau­che rie­si­ge Bögen Papier, Acryl­far­be und Gewe­be­band. Als Städ­te­rin bin ich es gewohnt, bei Pagro und Libro ein­zu­kau­fen. Weil es dort bil­li­ger ist als im sor­tier­ten Papier- und Schreib­wa­ren­fach­han­del. Als Künst­le­rin musst du dei­ne Pro­duk­ti­ons­kos­ten nied­rig hal­ten. Aber sogar wenn Bud­get vor­han­den wäre: Ich wüss­te nicht ein­mal, wo in Juden­burg ich an eine rie­sen­gro­ße Papier­rol­le kom­men soll­te.

Die „Are­na“ – auf dem hal­ben Weg von Juden­burg nach Fohns­dorf – ist kein guter Weg gewe­sen, um die Abwan­de­rung auf­zu­hal­ten. Die Geschäf­te in Juden­burg haben mas­si­ve Umsatz­ein­bu­ßen. Man kennt das von über­all­her: Die gro­ßen Ket­ten sper­ren auf, die klei­nen Läden schlie­ßen. Das Per­so­nal ist schlecht aus­ge­bil­det und unter­be­zahlt. Als Käu­fer ver­suchst du, die­ser Ent­wick­lung gegen­zu­steu­ern, in dem du wie­der beim klei­nen Greiß­ler und in der schmu­cken Buch­hand­lung am Eck oder im Schuh­ge­schäft mit dem tra­di­tio­nel­len Fami­li­en­na­men ein­kau­fen gehst. Wenn du selbst zu jenen gehörst, die nicht viel Geld ver­die­nen, geht sich das nicht oft aus. Es gibt kei­ne Schuh­preis­bin­dung, der Greiß­ler muss teu­rer sein, nur die Bücher kos­ten in der Buch­hand­lung gleich viel wie bei Tha­lia. Aller­dings muss man vie­le Bücher erst bestel­len, und das geht ganz leicht mit­tels drei Klicks auf Ama­zon. 

Vor eini­gen Tagen erfuhr ich, dass es in der gan­zen Gegend nur mehr eine Buch­hand­lung geben soll: den Mora­wa in Juden­burg. Knit­tel­feld mit sei­nen 11.000 Ein­woh­nern hat also kei­ne Buch­hand­lung. Eben­so Zelt­weg und Fohns­dorf.

„Lesen die Leu­te am Land nicht mehr?“, so lau­tet der Kom­men­tar zu mei­nem Face­book-Pos­ting. Ich sehe mei­ne Groß­cou­si­nen vor mir. Sie sind 14. Gehen zu Mac Donald´s, inter­es­sie­ren sich für alles ande­re mehr als für ihre Haus­übun­gen, schmin­ken sich ger­ne – und: sie haben ihre Nasen stän­dig in irgend­ei­nem Roman ste­cken. Sie sind auf­ge­weck­te Jugend­li­che und wie die meis­ten 14jährigen muss man sie ein biss­chen antrei­ben, damit sie hel­fen, die Wäsche auf­zu­hän­gen oder end­lich ihr Refe­rat vor­be­rei­ten. Aber man muss sie nicht zwin­gen, zu lesen. Eigent­lich sind sie genau­so, wie auch ich ein­mal war – nur dass ich damals noch nicht um einen Face­book-Account gebet­telt habe (aber ich hät­te es getan, hät­te es das damals schon gege­ben.)

Auch in der Schul­bü­che­rei Juden­burg kom­men vie­le Schü­le­rin­nen in der gro­ßen Pau­se, um Bücher aus­zu­lei­hen. Und als ich in die Büche­rei gehe, kommt ein Kind im Volks­schul­al­ter auf mich zuge­stürmt und zeigt mir den Poli­zei­hub­schrau­ber im Buch und stellt mir eine Unmen­ge Fra­gen, die ich gar nicht alle beant­wor­ten kann. Dass nur weni­ge Kin­der in die Büche­rei kämen, sagt die Biblio­the­ka­rin. Erwach­se­ne so gut wie gar nicht.

Graz ist die am schnells­ten anwach­sen­de Bun­des­haupt­stadt Öster­reichs. Wien liegt an 3. Stel­le. Juden­burg sowie das gan­ze Mur­tal hin­ge­gen schrump­fen. 

(>http://steiermark.orf.at/news/stories/2511453/)

Die Städ­te locken mit Bil­dungs­an­ge­bo­ten. Der Durch­schnitts­ös­ter­rei­cher ist kein ein­fa­cher Arbei­ter mehr. Die Matu­ra gehört heu­te dazu, das Kind, das zur Uni geht, ist nichts Außer­ge­wöhn­li­ches, im Gegen­teil. Die jun­ge Gene­ra­ti­on stellt sich ihre Zukunft nicht mehr in der Fabrik vor. Auch lockt die Stadt mit einem viel­fäl­ti­gen Frei­zeit­an­ge­bot. Da kann eine klei­ne Gemein­de nicht mit­hal­ten, auch wenn sie sich noch so bemüht. Vie­le wol­len dort­hin, wo nicht jeder jeden kennt. Gera­de als jun­ger Erwach­se­ner lernt man ger­ne neue Leu­te ken­nen – aber bit­te nicht zu eng, man will sei­ne Geheim­nis­se bewah­ren. Auch die Part­ner­su­che hat sich ver­än­dert. Man hei­ra­tet nicht mehr den Sohn vom Nach­barn. Man will sich aus­le­ben und die Welt ken­nen­ler­nen. Vor allem Frau­en sind es, die die Stei­er­mark am Ende der Puber­tät fast schon flucht­ar­tig ver­las­sen.

Ich den­ke an eine Freun­din, deren Ver­wandt­schaft in der Ost­stei­er­mark lebt. Mei­ne Freun­din ist wie ich in Wien auf­ge­wach­sen. Sie hat stu­diert. Hat nicht gehei­ra­tet. „Und jetzt willst du dei­nen Beruf wirk­lich aus­üben?“, wur­de sie nach ihrer Diplom­prü­fung gefragt. Mei­ne Freun­din sah ihre Ver­wand­ten erstaunt an. Ja, wozu hät­te sie denn sonst so lan­ge stu­diert?

Die Cou­sins mei­ner Freun­din sind alle in der Stei­er­mark geblie­ben. Sie gehö­ren zu den Sess­haf­ten, die ihre Hei­mat nicht ver­las­sen wol­len. Zum Arbeits­platz pen­deln sie jeden Mor­gen 1,5 – 2 Stun­den. Am Abend wie­der zurück. Tag für Tag. Seit 20 Jah­ren.

Die Cou­sins mei­ner Freun­din haben jung gehei­ra­tet. Haben Häu­ser gebaut. Haben Kin­der bekom­men und sich, als ihre Kin­der 3 Jah­re alt wur­den, bereits gefragt, wie es wei­ter­ge­hen soll, wenn die Kin­der ein­mal das Haus ver­las­sen. Wäh­rend mei­ne Freun­din und ich durch die Loka­le der Wie­ner Innen­stadt zogen und die Zukunft noch in wei­ter Fer­ne schien, hat­ten die Cou­sins mei­ner Freun­din bereits Angst vor einer Zeit, da ihre Kin­der das Haus ver­las­sen wür­den. Mit 21 las ich „Die Lieb­ha­be­rin­nen“ von Elfrie­de Jeli­nek. Das Buch erschien in den 70ern. 30 Jah­re spä­ter, so kam mir vor, als mir mei­ne Freun­din von ihrer Fami­lie berich­te­te, leb­ten die Frau­en in der Stei­er­mark noch immer so. Sie hei­ra­te­ten, um nicht in der Fabrik oder an einer Super­markt­kas­sa arbei­ten zu müs­sen. Ihr Leben bestand aus: Spa­ren, damit das Haus schnell fer­tig wur­de. Schwan­ger wer­den, ein­kau­fen, kochen, mit der Schwie­ger­mut­ter trat­schen, damit die ein­mal hilft, wenn das Kind da ist. Die Frau­en blie­ben zu Hau­se wäh­rend die Män­ner ins Werk pen­del­ten. Die Erfül­lung der Frau ist das Kind und der sau­ber geführ­te Haus­halt. Man macht es sich schön. Mei­ne Freun­din sagt, dass sie sich gar nicht traut, mit den Schu­hen ins Vor­zim­mer zu tre­ten, so sau­ber ist es.

Heu­te sind die Cou­sins mei­ner Freun­din auch schon über 40. Ich habe schon lan­ge nichts mehr von ihnen gehört. Mei­ne Freun­din sieht ihre Ver­wandt­schaft nicht mehr sehr oft. Als Erwach­se­ner besuchst du dei­ne Eltern und dei­ne Groß­el­tern. Und du triffst dich mit dei­nen Freun­den.

Ich spre­che mit mei­ner Freun­din über mei­nen Auf­ent­halt in Juden­burg. Erzäh­le ihr von mei­nen frü­hen Kind­heits­er­in­ne­run­gen. Das Hüge­li­ge. Den Kuh­ge­ruch. O ja, den habe ich auch immer gern gehabt, sagt sie. Und dass bei ihnen immer alle um einen gro­ßen Tisch geses­sen sei­en. Der Tisch ihrer Tan­te sei am Abend immer besetzt gewe­sen, dort wären die Fami­li­en­mit­glie­der und die Nach­barn zusam­men­ge­kom­men. Sol­che Erin­ne­run­gen habe ich nicht. Wenn ich mich recht erin­ne­re, leb­te hier jeder in sei­nem Haus. Mit sei­ner Fami­lie. Man war freund­lich zuein­an­der, aber das war man in Lie­be­nau auch, als mei­ne Groß­mutter nach Graz zog.

Neu­lich sag­te mir ein Juden­bur­ger: Hier ist eine neue Zeit des Bie­der­mei­er aus­ge­bro­chen. Die Leu­te zie­hen sich in ihre Pri­vat­woh­nun­gen und Häu­ser zurück. Sie sind poli­tik­ver­dros­sen und kul­tu­rel­le Ver­an­stal­tun­gen zie­hen schon lan­ge nicht. 

War es ein­mal anders?

Juden­burg hat­te ein eige­nes Kino. Bereits vor 100 Jah­ren gab es hier ein Licht­spiel­thea­ter. Und eine Thea­ter­büh­ne. Mei­ne Groß­tan­te erzählt mir davon. Hier ist ein­mal etwas los gewe­sen. Das war zu einer Zeit, als noch nicht alle kul­tur­in­ter­es­sier­ten Leu­te in die Städ­te zogen. Oder mit dem Auto nach Graz fuh­ren.

Was hier fehlt, das ist ein gewis­ser Input. Des­we­gen zieht es die jun­gen Leu­te in die Bal­lungs­zen­tren. Dort gibt es nicht nur Uni­ver­si­tä­ten, dort gibt es auch eine Jugend­sze­ne.

Die­ser Tage fin­det in Wien der Bus-Bim-Slam statt. Das ist eines jener vie­len Events, an denen du in einer Stadt gar nicht vor­bei­kommst. In einer Stadt kannst du dir aus­su­chen, ob zu zu Hau­se bleibst, mit Freun­den zusam­men­sit­zen willst, in ein Kon­zert gehen willst (von Hip­Hop über Indie-Pop bis hin zur Moder­nen Klas­sik), ob du die Dis­co besu­chen möch­test oder lie­ber ein Kaf­fee­haus. Ob du ins Thea­ter willst oder zu einer Lesung, die oft genug gra­tis ist.

Als jun­ge Wie­ne­rin hat­te ich fol­gen­des Pro­blem: Ich hat­te so vie­le Aus­wahl­mög­lich­kei­ten, dass ich mit mei­ner Freun­din von Lokal zu Lokal zog, eine Run­de dreh­te und dann zum nächs­ten wei­ter­hetz­te, immer in der Angst, am fal­schen Ort zu sein, etwas ver­säu­men zu kön­nen. Wir waren hung­rig und unser Hun­ger wur­de nie gestillt, denn ver­säumt haben wir immer etwas, von dem wir erst am nächs­ten Tag erfuh­ren.

Das klingt sehr anstren­gend, wird sich jetzt manch einer den­ken, da sitz ich doch lie­ber mit mei­nem Bier­chen im Gar­ten und hör den Vög­lein zu. (Ja, sie zwit­schern hier im Aich­feld, trotz des Regens). Und ja, es war anstren­gend. Manch­mal auch sehr frus­trie­rend. So zwi­schen den Beton­mau­ern, eine gan­ze Armee von jun­gen Men­schen auf der Suche nach Irgend­et­was. Aber auch wenn wir nichts fan­den: Wir hat­te sie wenigs­tens, die Orte, an denen wir suchen konn­ten. Und wir haben Erfah­run­gen gemacht. Wir haben die unter­schied­lichs­ten Men­schen ken­nen gelernt und mit der Zeit sind wir unter­schied­li­che Wege gegan­gen. Unse­re Freund­schaf­ten haben sich ver­än­dert und mit ihnen das Umfeld, in dem wir uns bewe­gen. Wir haben uns durch­ge­kämpft durch eine Schar von Bekannt­schaf­ten und heu­te haben wir einen erle­se­nen Kreis von Freun­den und wis­sen: Nichts ist ewig. Und nichts muss ewig sein. 

Gesprä­che berei­chern. Dein Kopf ist rund, damit sich dein Den­ken ändern kann. Aber dazu brauchst du einen Input. Hin­ter der ver­schlos­se­nen Tür fin­det du ihn nicht. Input, das heißt: Die Kon­fron­ta­ti­on suchen. Sich von etwas oder jeman­dem ein wenig durch­rüt­teln las­sen. Das kann durch ein Gespräch gesche­hen, durch ein Thea­ter­stück, durch ein Kon­zert… oder durch eine ver­rück­te Meu­te, die an einer Bus­sta­ti­on steht und den Vor­bei­ei­len­den Lite­ra­tur ent­ge­gen schmet­tert.

Und nein, die Städ­ter sind nicht von Haus aus offe­ner und kul­urin­ter­es­sier­ter. Die Städ­ter hocken genau­so hin­ter ihren Fern­se­hern, ver­schlie­ßen ihre Fens­ter, um das Pro­gramm des Nach­barn nicht mit­hö­ren zu müs­sen und ver­sper­ren ihre Türen, die alle einen Spi­on haben. In der Stadt herrscht die­sel­be Poli­tik­ver­dros­sen­heit, die­sel­be Rück­zugs­ten­denz. Aber: Und da sind wir jetzt bei der Abwan­de­rung: Wenn du jemand bist, der den Input braucht, dann zieht es dich in die Stadt. Und wenn du am Land auf­ge­wach­sen bist und ein gutes Ver­hält­nis zu dei­nen Eltern hast (bzw. eine Mama, die sich freut, wenn das Kind heim­kommt), dann musst du nicht ein­mal auf die Natur ver­zich­ten.

Frei­tag­abend. 17:03, Zug von Wien Rich­tung Graz. Wenn du einen Sitz­platz bekommst, hast du Glück. Drei Vier­tel der Rei­sen­den sind Leu­te im Alter zwi­schen 19 und 26. Stu­den­tIn­nen. Vie­le von ihnen stei­gen in Bruck an der Mur um. Wer am Frei­tag­nach­mit­tag noch Vor­le­sun­gen hat, der schafft den letz­ten durch­ge­hen­den Rail­jet Rich­tung Vil­lach nicht. Aber der ist bestimmt genau­so voll.

In Bruck wälzt sich die Mas­se über die Brü­cke. Auf Gleis 3 war­tet schon der Regio­nal­zug Rich­tung Neu­markt. Vie­le der in Bruck aus­ge­stie­ge­nen jun­gen Leu­te bestei­gen den­sel­ben Zug wie ich. Ande­re wer­den von ihren Eltern am Bru­cker Bahn­hof abge­holt.

Nach drei Tagen Regen scheint die Son­ne wie­der. Ich spa­zie­re die Mur ent­lang und stre­cke mein Gesicht der Son­ne ent­ge­gen. Es ist schön, das Wochen­en­de hier zu ver­brin­gen. Dass das die per­fek­te Mischung wäre, den­ke ich: Land und Stadt. Und dass der per­fek­te Ort bei­des inte­grie­ren müss­te: Die Land­schaft und die Ruhe und den Input der Stadt.

Wie man die Abwan­de­rung auf­hal­ten will? Ob die Aich­feld-Stadt, die letzt­end­lich auch nicht mehr ist als eine Zusam­men­le­gung von meh­re­ren Dör­fern (also ewig lang von hier nach dort und das ohne U‑Bahn), die Abwan­de­rung auf­hal­ten kann? Ganz ehr­lich: Ich glau­be nicht. Dass sich die Wirt­schaft über­legt, wie man die Lehr­be­ru­fe wie­der attrak­ti­ver gestal­ten kann, fin­de ich gut. Aber sei­en wir ganz ehr­lich: Sogar wenn es das Berg­werk noch gäbe: Wer wür­de heu­te noch Hau­er sein wol­len? 8 Stun­den mit den Press­luft­ham­mer in einer dunk­len Sau­na samt Zug­luft ste­hen und schwer arbei­ten? Nie das Tages­licht sehen?

Die Stadt lockt. Wenn du es schaffst, dann ver­dienst du viel – und das vom Schreib­tisch­ses­sel aus. Die hohe Anzahl der arbeits­lo­sen Aka­de­mi­ker ist eine ade­re Sache. Hier feh­len die Fach­kräf­te und dort bekom­men die Aka­de­mi­ker kei­nen Job und mel­den sich beim AMS arbeits­los oder hel­fen in einer Bar aus. Irgend­wann wer­den wir uns unse­re Sem­meln sel­ber backen und unse­re Häu­ser sel­ber bau­en müs­sen. Aber die Träu­me, die soll man den jun­gen Men­schen las­sen. Sei es nun in der Stadt oder am Land. Letzt­end­lich geht es dar­um, neue Per­spek­ti­ven zu schaf­fen. Und an die­sem Punkt bin ich froh, Autorin zu sein und nicht Poli­ti­ke­rin. Denn als Autorin sollst du zwar alles hin­ter­fra­gen, aber kei­ner ver­langt von dir, Lösun­gen zu fin­den.

Links zum The­ma Aich­feld-Stadt:

http://steiermark.orf.at (Unter­neh­mer for­dern Aich­feld-Stadt)

http://steiermark.orf.at/news/stories/2536419/ (Bür­ger­meis­ter gegen Aich­feld-Stadt)

https://www.kommunalnet.at (Fusi­on von 15 Gemein­den sinn­voll?)

http://www.kleinezeitung.at/steiermark (Jukni­zel­fo­burg)

http://www.kleinezeitung.at/steiermark (Aich­feld-Stadt ein Null­sum­men­spiel)

http://www.obersteiermarkwest.spoe.at (SPOE – Aich­feld-Stadt ist Schritt gegen Abwan­de­rung)

http://www.murtal-extra.at/(Kurt Kai­ser im Gespräch)