Kein Hausbrand mehr in Wasendorf
Der Druck dort unten. Was meint die Führerin damit? Wie kann man sich so einen Druck vorstellen? Sie erklärt ihn uns anhand eines Eisenstempels. Bis zu vierzig Tonnen hält so ein Ding aus. Im Abstand von weniger als einem Meter hat man diese Eisenstempel aufgestellt. Als die Rauber sie herausschlugen, sahen sie aus wie Korkenzieher oder waren überhaupt geknickt. Das also ist Druck. Ein Tunnel, der immer enger wird. Waren die Stempel verdreht oder geknickt, konnte man zudem schwer einschätzen, wohin sie fielen, wenn man sie herausschlug. Herauszog – mit einer Eisenkette, wenn ich es richtig verstanden habe. Und dass ich mir das sowieso nicht vorstellen kann. Dass den ein Mann alleinaufgerichtet haben und wieder herausgeholt haben soll.
Mein Großvater war kein Rauber, obwohl auch er dem Berg etwas geraubt hat – die Kohle. Ausgehöhlt hat er ihn, denBerg, Stunde um Stunde mit seinem Presslufthammer. Dabei sieht er so zart aus auf den Fotos. Am Hochzeitsfoto einzartes Bürschchen, und auch später nicht dick. Sieht mit seiner Brille eher wie ein Bücherwurm aus.
Und dann das Methangas. Am Anfang haben sie es mit Ventilatoren abgesaugt, später haben sie es mit Rohren hinausgeleitet und zur Stromgewinnung genützt. 1943 starben 102 Bergarbeiter durch ein Schlagwetter. Gutes Wetter, böses Wetter. So hieß es dort unten. Später hat man Wassertröge an den Tunneldecken agebracht. Die funktionierten wie eine Sprenkleranlage. Ist es durch ein Schlagwetter zur Explosion gekommen, wurden durch die Druckwelle dieWasserbehälter zerstört, das Wasser befeuchtete den Kohlenstaub, sodass dieser nicht mehr aufsteigen und sich entzünden konnte. 1943 hatte es eine Gas- mit darauffolgender Kohlenstaubexpolosion gegeben. 1950, als es die Befeuchtungsanlagen bereits gab, starben bei der Schlagwetterexplosion „nur“ mehr 7 Kumpel.
Die Maschinen, die man verwendete, waren zur Zeit meines Großvaters bereits elektrisch angetrieben. BeimHinauffahren baute die Maschine, die da ins Flöz fuhr, den oberen Teil der Kohlenschicht heraus, oben angekommen, wurde der Arm nach unten gedrückt und die untere Schicht wird herausgearbeitet Die Kohle auf das Stahlförderbandgeschaufelt und nach unten abtransportiert. Kam dann auf Gummiföderbänder, wurde gesammelt und in die Hunte verladen.
Wozu braucht man den Mann mit dem Presslufthammer, wenn doch sowieso die Maschine alles macht?, frage ich meinen Vater. Er erklärt es mir. Dass die Maschine sich da hineingräbt. Und dann kommen die Arbeiter. Stellen ihreStützen auf und schlagen die Kohle heraus. Und wenn sie fertig sind, gräbt die Maschine daneben den nächsten Gang und die alten Stempel werden herausgerisssen, der abgebaute Teil fällt zusammen. 200 m lang ist so ein Abbau. 1,4 m breit, die Höhe betrug meist an die 3 Meter. Eingeteilt in mehrere Orte, pro Ort arbeiten 2 Männer die Kohle heraus, derHauer und sein Helfer.
Bohrlöcher setzen, , Sprengstoff zünden, absichern, stempeln, Kohle abbauen. In 2 Tagen war der Bereich ausgekohlt. Kohle kann rinnen oder steinhart sein. Butterweich und angenehm fährt es sich da nie hinein, mit dem Presslufthammer.
Ab 1% Methangas wurden die elektrischen Anlagen aus Sicherheitsgründen abgeschaltet. Bei Methangas arbeitete man mit Pressluft. Da ging nicht viel weiter. Die Maschinen wurden in Zeltweg gebaut. Heute stellt sie die schwedische Firma Sandvik her. Die kleinste Sandvik-Maschine F6A wurde auch hier ab 1975 verwendet. Die war für den steilenAbbau jedoch nicht geeignet und wurde nur für die Gänge hin zum Flöz eingesetzt. Durch den steilen Abbau und die Gasentwirklung sowie durch die Tiefe (da musste man alles zerlegen und wieder neu aufbauen), konnten viele moderneMaschinen nicht verwendet werden, was den Abbau gegenüber anderen Gebieten kostspielig machte. 1978 sperrte dasBergwerk. Damals waren noch etwa 1000 Kumpel beschäftigt.
1000 Leute arbeitslos oder frühpensoniert. Ein ganzer Landstrich, dem plötzlich die Existenzberechtigung fehlt.
Ich fotografiere in Wasendorf, dem Heimatort meines Vaters. Sehe Holzverschläge, die aussehen wie Baracken. Nein, das waren Schuppen, werde ich aufgeklärt. Wozu die Matratzen? Wozu der Herd? Man sei eben gerne draußen gewesen. Kein Wunder, denke ich. Ein bisschen Sonne. Nicht alle hatten einen Garten wie meine Großeltern. Und auch den hatten sie nur, weil sie damals ein Haus gebaut haben. Die Ziegel selber gebrannt. Zuerst stand mein Großvater den ganzen Tag mit dem Presslufthammer im Stollen und dann stellte er auch noch selbst Ziegel her und schichtete sieStück für Stück aufeinander. Dass sich das heute keiner mehr antäte, denke ich.
Im Unfallbericht sehe ich, dass man Großvater bereits mit 14 hier im Bergwerk zu arbeiten begonnen hatte. Ich blättere durch die Seiten. Das kam selten vor, dass da einer so früh und dann so lange.
Für die Jungen gab es einen eigenen Lehrbetrieb. Hinunter durftest du erst mit 18. Oben hast du alles gelernt, was du wissen musst, um unten zu überleben. Zur Zeit meines Urgroßvaters bist du noch mit dem Vater hinein, hast ihm dieJause und die Flasche nachgetragen. Die Kinder waren nicht angestellt, die verdienten dort unten nichts. Die „durften“mit und lernten von klein auf, was sie später am Leben erhalten sollte.
Die Fohnsdorfer Kohle war eine hochwertige. Glanzkohle. Hatte einen Heizwert von 5500 Kilokalorien, klärt man mich auf. 5500 Kilokalorien, denke ich, wie viele Tagesrationen an Essen sind das? Zwei in etwa, wenn man brav isst.Das klingt nicht nach sehr viel. So denke ich, eine siebenunddreißigjährige Frau, die in ihren 20ern oft genug Kaloriengezählt und gehungert hat, um schlank zu bleiben. Durch ihren hohen Heizwert wurde die Fohnsdorfer Kohle hauptsächlich als Kraftwerkskohle verwendet. Die Voitsberger und Köflacher Kohle besaß nur den halben Heizwert,war durch ihre einfachere Gewinnung aber preisgünstiger.
Die Bergwerksleute bekamen einen Teil ihres Gehalts in Kohle ausbezahlt. Ich erinnere mich an den Ofen meinerGroßmutter im Wasendorfer Haus. Wie ich mit ihr hinunter gegangen bin, in den Heizkeller. Gruselig war es dort unten,vor dem großen Kohleofen. Gruselig, weil meine Oma gerne Gruselgeschichten von brennenden Mädchen erzählte.Heute erfahre ich, dass die Fohnsdorfer Kohle tatsächlich eine aggressive, als Hausbrand fast nicht geeignete Kohle war, da sie einen hohen Schwefelanteil hatte. Aber sie hatte auch einen hohen Heizwert. Kalt war´s ihnen also nicht imWinter, den Frauen und Kinder der Bergarbeiter.
Wasendorf, Schachtsiedlung, 2012