Die Ichung meines Ichs vollzog sich später als bei anderen. Die Mutterung der Übermacht Mutter verzögerte die Ichung um Jahre. Mein Ich zog sich unter eine Decke zurück und fraß Wörter. Die Wörter füllten das Ichlein aus, blähten es auf, hoben die Decke. Also zog ich aus um mein Ichlein unter einer anderen, größeren Decke zu verstecken.
Die Mutterung folgte durchs Telefon. Die Wörter der Mutterung ließen das aufgeblähte Ichlein augenblicklich schrumpfen, die Decke ward bald zu groß. Mein Ichlein verschwand in einer Deckenfalte, wo es sich so lange von Milbenkot ernährte, bis Niesanfälle es zwangen, die Deckenfalte zu verlassen. Man stellte eine Hausstauballergie fest. Die Mutterung vollzog sich von nun an durch gut gemeinte Ratschläge. Das Ichlein durchbohrte sich mit einem Stab das Gehirn. Jetzt konnte die Mutterung ungehemmt durchzischen.
Das Ichlein kaufte sich eine allergenfreie Bettdecke und schlüpfte in eine milbenfreie Falte. Da flüsterte etwas in der Gehirnspalte. Flüsterte Worte, die sich zu Sätzen formierten. Sätze, die keinen Sinn ergaben. Die Mutterung konnte nicht vollzogen werden, denn die Mutter wusste von den Sätzen nichts. Die Mutterung bezog sich indes auf dreckige Saftgläser und zischte durch den Gehirnspalt. Das Zischen überlagerte das flüstern der Wörter.
Und dann kamen sie.
Die Frauen mit den Büchern. Die bösen alten Frauen zerrten das Ichlein aus der Deckenfalte, da bekam sogar die Mutter Angst und schluckte die Mutterung hinunter, wurde stumm.
Die Frauen aber waren laut.
Sie klatschten in die Hände und tanzten zu Gitarrenklang. Sie warfen Bücher auf das Ichlein und aus den Büchern kamen Worte, Worte, die jenen in der Gehirnspalte des Ichlein glichen, und plötzlich war da ein Sinn. Das Ichlein trampelte über Seiten und pflückte Phrasen. Dann warf es die Bücher aus dem Fenster und schrie: Nie mehr will ich Ichlein sein!
Da endlich vollzog sich meine Ichung.
©MPK, 2011, erschienen in der Literataturzeitschrift etcetera, Sonderheft “Bürger, Bauer, Bischof”