Er stand neben der Kat­ze, über der Kat­ze, sah auf sie hin­un­ter, auf ihre Hin­ter­bei­ne, die sie leicht gespreizt hat­te, das ange­ho­be­ne Hin­ter­teil, die artig neben­ein­an­der gestell­ten Vor­der­pfo­ten, die Ohren, die sie zur Sei­te gerich­tet hat­te und auf ihre Augen, die starr gera­de­aus blick­ten. 

„Sie wird doch nicht“ sag­te er, aber da sah er ihn auch schon, den fei­nen Strahl, der in einem run­den Bogen aus der Kat­ze her­aus­sprit­ze, gegen den Tür­stock pras­sel­te und dann im Par­kett­bo­den ver­si­cker­te, des­sen Die­len nur mehr lose anein­an­der lagen und beim Gehen durch die Woh­nung jedes Mal ein kla­ckern­des Geräusch von sich gaben. Er hat­te Lust, der Kat­ze einen Tritt zu geben, sodass ihr Kör­per einen gro­ßen Bogen durchs Vor­zim­mer beschrei­ben wür­de, aber er blieb starr über sie gebeugt ste­hen, denn wenn er sie jetzt in die Sei­te trat, wür­de der Strahl mit ihr flie­gen und alles nass machen. Außer­dem war es nicht sei­ne Kat­ze, es war Arco­las Kat­ze, aber die saß nur da und rauch­te und sah gelang­weilt zur Kat­ze und dann zu ihm.

Er war­te­te, bis die let­zen Trop­fen aus der Kat­ze her­aus­ge­flos­sen waren, sah ihr zu, wie sie die Hin­ter­bei­ne schüt­tel­te und ein­fach weg­ging, als wür­de sie das alles nichts ange­hen, und wie­der hat­te er Lust, sie zu tre­ten, oder ihr ins Gesicht zu schla­gen, in die­ses arro­gan­te Fell­ge­sicht mit den weg­ste­hen­den Schnurr­bart­haa­ren. Statt­des­sen hol­te er eine Rol­le Klo­pa­pier aus dem Klo, riss Blät­ter ab und ließ sie hin­un­ter segeln, bis ein gan­zer Berg davon die Lacke unter sich begrub, und gleich­zei­tig frag­te er sich, war­um er das tat, schließ­lich war es nicht sei­ne Kat­ze, eben­so wenig, wie es sei­ne Woh­nung war. 

Er setz­te sich wie­der an den Tisch, sah Arco­la zu, wie sie die Ziga­ret­te im Aschen­be­cher aus­dämpf­te und sich die nächs­te ansteck­te.

„Sag mal, stört dich das gar nicht, dass sie so ein­fach hier­her pin­kelt?“, frag­te er und sie sag­te: „Doch, aber was soll ich jetzt machen, das hat doch kei­nen Sinn, wenn ich mich jetzt dar­über auf­re­ge.“

„Du musst mit ihr schimp­fen“, sag­te er, „Kat­zen sind wie Kin­der.“ 

Er stand auf und schnapp­te sich die Kat­ze, „Böse Kat­ze“, sag­te er – er schlug sie nicht, son­dern trug sie zum Kat­zen­kist­chen, wo er sie absetz­te und wor­aus sie gleich wie­der sprang und um die Ecke saus­te. Der Par­kett­bo­den kla­cker­te und die Kat­ze ver­kroch sich unter dem Stuhl, auf den er sich immer set­ze, wenn er sei­ne Schu­he aus- oder anzog.

„Ich bit­te dich, lass doch die Schu­he an“, hat­te Arco­la gesagt, als er das ers­te Mal zu ihr gekom­men war und sich auf den Ses­sel gesetzt hat­te, und auch heu­te noch pas­sier­te es ihm, das Schu­he­aus­zie­hen, es war wie ein Reflex, aber Arco­la sag­te nichts mehr, blieb nur neben ihm ste­hen und sah ihm zu, und jedes Mal war es ihm ein wenig unan­ge­nehm, wenn sie so auf ihn hin­un­ter­sah und war­te­te.

Dar­an dach­te er jetzt, als er die Kat­ze unter dem Stuhl sah, und an noch etwas dach­te er, an sei­nen Vater, der ihn immer einen Pan­tof­fel­held nann­te, dabei waren es doch sei­ne Eltern, die ihm das Schu­he­aus­zie­hen bei­gebracht hat­ten. Sein Vater hät­te der Kat­ze einen Tritt gege­ben und Arco­la ange­schafft, den Boden sau­ber zu wischen.

Er hat­te Arco­la vor einem drei­vier­tel Jahr ken­nen­ge­lernt, auf einem Uni-Fest, dabei war er nie zur Uni gegan­gen, er hat­te einen Freund beglei­tet, und seit jenem Abend waren Arco­la und er ein Paar, und immer wie­der frag­te er sich, was sie an ihm fand, ob sie wirk­lich in ihn ver­liebt war, und ob es neben ihm noch ande­re gab, die in ihre Woh­nung kamen, und ob die ihre Schu­he auch aus­zo­gen wie er, oder ob sie sie anlie­ßen. Aber wann, frag­te er sich, zogen sie ihre Schu­he aus? Wenn Arco­la sie küss­te und ihnen ihn den Schritt griff, so wie sie es bei ihm tat, wenn sie Lust hat­te, oder behiel­ten sie die Schu­he auch dann noch an und streif­ten sie erst mit der Hose her­un­ter, mit einer ein­zi­gen Bewe­gung, so wie Arco­la es konn­te, wenn sie sich aus­zog?

Als er sich wie­der zu ihr set­ze, merk­te er, dass er noch immer wütend war – auf die Kat­ze, die auf den Boden gepin­kelt hat­te, auf sie, die ein­fach zuge­se­hen hat­te, die ihn das Klo­pa­pier abrei­ßen hat­te las­sen und gar nicht auf die Idee gekom­men war, sich selbst um die Besei­ti­gung der Urin­la­cke zu küm­mern. Er nahm sich vor, das Klo­pa­pier lie­gen zu las­sen, nicht selbst der­je­ni­ge zu sein, der es auf­hob und weg­warf.

„Ich hab heu­te erfah­ren, dass ich in Linz lesen soll“, sag­te Arco­la, „wenn du willst, kannst du ja mit­kom­men, wir könn­ten uns einen schö­nen Tag machen.“ 

Linz, dach­te er, er hat­te kei­ne Lust, mit ihr nach Linz zu fah­ren. Er frag­te sich, was sie noch mit­ein­an­der ver­band, und es fiel ihm nichts ein. Arco­la schrieb, rede­te immer nur vom Schrei­ben, und wenn sie nicht schrieb, dann las sie oder hör­te ande­ren beim Lesen zu und erzäh­le ihm begeis­tert von den Tex­ten der ande­ren. Es stör­te sie nicht, dass er selbst nicht schrieb, dass er sich nicht ein­mal für Lite­ra­tur inter­es­sier­te, dass er lie­ber Gitar­re spiel­te und Klet­tern ging. Manch­mal beglei­te­te sie ihn in den Wald, dann spa­zier­ten zu sei­ner Lieb­lings­wand, wo sie sich ins Gras setz­te und ein Buch las wäh­rend er klet­ter­te, und anfangs hat­te er gedacht, dass das Lie­be sei. Es hat­te es ihm sogar gefal­len, sie auf die Lesung zu beglei­ten, damals, als sie den Lite­ra­tur­preis gewon­nen hat­te, als sie vor­ne am Podi­um geses­sen war und sich die Bril­le auf­ge­setzt hat­te, als sie ihre Ras­ta­zöp­fe nach hin­ten gebun­den und so ernst drein­ge­se­hen hat­te. Er hat­te ihren Tex­te nicht ganz ver­stan­den, ihre Sät­ze waren von einer Asso­zia­ti­on zur nächs­ten mäan­dert, aber er hat­te es geliebt, ihr zuzu­se­hen und die Zuhö­rer zu beob­ach­ten, wenn sie las. 

Die Kat­ze kam wie­der ins Wohn­zim­mer und umkreis­te vor­sich­tig die Stel­le mit dem Klo­pa­pier.

„Sie mag das Streu nicht, du hast das fal­sche Streu gekauft“, sag­te Arco­la. Sie hob die Kat­ze hoch und strei­chel­te sie. „Mor­gen kau­fe ich neu­es Streu, dann geht sie wie­der aufs Kist­chen.“

„Trotz­dem, so was darfst du ihr nicht so ein­fach durch­ge­hen las­sen, ich pink­le ja auch nicht neben das Klo, wenn mir das Klo­pa­pier nicht passt.“ 

Er sag­te es lei­se, und noch als er es sag­te, kam er sich vor wie ein trot­zi­ges Kind, das recht haben woll­te.

Arco­la strich über das Fell der Kat­ze und sah ihn über den Kopf der Kat­ze hin­weg an, er wuss­te, sie war­te­te auf eine Ant­wort, woll­te wis­sen, ob er nun nach Linz mit­fah­ren wür­de oder nicht, aber er sah nur, wie sie die Kat­ze strei­chel­te, die er so ger­ne geschla­gen hät­te, die er jetzt noch ger­ne schla­gen wür­de, obwohl es dafür jetzt viel zu spät war, denn die Kat­ze wür­de die Ver­bin­dung zwi­schen ihrem Fehl­ver­hal­ten und sei­ner Gewalt nicht mehr her­stel­len kön­nen.

Arco­la wipp­te mit dem Fuß, sie hat­te San­da­len an, seit drei Tagen war Som­mer, obwohl es erst Ende April war. Er lieb­te ihren oran­ge­far­be­nen Rock, er lieb­te ihre lila lackier­ten Zehen­nä­gel und er lieb­te ihre gebräun­te Haut. Er woll­te die blö­de Kat­ze von ihrem Schoß wer­fen und Arco­la auf die Schul­ter küs­sen, aber er trau­te sich nicht.

„Wir könn­ten uns mit Yas­mi­ne tref­fen“, sag­te Arco­la, „bestimmt freut sie sich“

Yas­mi­ne, Arco­las Freun­din, die in Linz wohn­te und die er vor einem hal­ben Jahr ken­nen­ge­lernt hat­te, die er nur ein­mal gese­hen hat­te. War­um soll­te er Lust haben, sie zu tref­fen? 

„Ich glau­be, ich blei­be hier“, sag­te er, „ich tref­fe mich mit Bernd. Du bist mir doch nicht böse, oder?“

Sie sah ihn fra­gend an, „Wie­so böse?“, sag­te sie, „du musst doch nicht mit­kom­men, ich dach­te nur, weil es doch dein Geburts­tag ist.“

„Wir kön­nen ja nach­fei­ern“, sag­te er. 

Er sah auf das voll­ge­so­ge­ne Klo­pa­pier.

„Soll­ten wir das nicht weg­ma­chen“, frag­te er, „Ich habe ein­mal gehört, wenn man sowas nicht weg­wischt, pin­keln die Kat­zen immer wie­der an der Stel­le.“

„Blöd­sinn“, sag­te sie, „die Kat­ze will nur das Streu nicht, sie hat noch nie auf den Boden gepin­kelt.“

Und was, wenn sie lügt, dach­te er und nahm sich vor, die Schu­he in Zukunft anzu­las­sen. Aber was, wenn er in der Nacht aufs Klo muss­te? Die Pis­se wür­den sie nie wie­der aus dem Holz her­aus­be­kom­men, die war inzwi­schen bestimmt ganz tief ein­ge­si­ckert, er hät­te sofort wischen müs­sen, mit einem Schwamm­tuch und Geschirr­spül­mit­tel, aber auch dafür war es jetzt zu spät.

Er dach­te an sei­nen Geburts­tag in einer Woche und frag­te sich, ob er dann noch mit Arco­la zusam­men sein wür­de. Viel­leicht aber waren sie auch noch in einem Jahr zusam­men, oder in zwei Jah­ren Was, wenn sie ihn fra­gen wür­de, ob er mit ihr zusam­men­zie­hen woll­te, dann wür­de es die Kat­ze immer noch geben. Er woll­te nicht mit der Kat­ze zusam­men­woh­nen, woll­te nicht, dass sie auf ihren Boden pin­kel­te, der dann auch sein Boden sein wür­de, und viel­leicht auf die Couch, woll­te nicht, dass sie sei­ne Plat­ten­co­vers zer­krat­ze, so wie sie Arco­las Plat­ten­co­vers zer­kratzt hat­te. Das war ihm sofort auf­ge­fal­len, als er das ers­te Mal zu ihr in die Woh­nung gekom­men war und sie ihn das ers­te Mal geküsst und dabei in sei­nen Schritt gegrif­fen hat­te, über­all die Kratz­spu­ren. „Stört dich das nicht?“, hat­te er sie gefragt, und sie hat­te nur „Nein“ gesagt und ihn wei­ter­ge­küsst, an sei­nem Ohr­läpp­chen geknab­bert und sei­nen Penis durch den Jeans­stoff mas­siert, aber er hat­te nicht die Augen von den Kratz­spu­ren las­sen kön­nen, von den zer­krat­zen Plat­ten­co­vers, von der zer­fetz­ten Steh­lam­pe aus Papier und von dem auf­ge­kratz­ten Eck am Sofa, aus dem der Schaum­stoff quoll. Er moch­te ihre Woh­nung nicht, die immer unauf­ge­räumt war und in der es immer nach Rauch und Kat­zen stank, aber er es moch­te es, zu ihr zu kom­men und sie an sei­nem Ohr­läpp­chen knab­bern zu las­sen, egal, wie dre­ckig es ihm ging, er brauch­te sich nur neben sie zu set­zen und es ging ihm wie­der bes­ser. So war Arco­la, sie ver­stand nicht, war­um es ihm manch­mal so dre­ckig ging, war­um er manch­mal so müde und lust­los war, war­um ihn das Leben manch­mal so schwer fiel, obwohl er doch alles hat­te, was man zum Glück­lich­sein braucht, wie Arco­la sag­te. Arco­la konn­te nichts auf­re­gen, alles nahm sie hin wie es war, nie hat­te er sie nie­der­ge­drückt erlebt. Manch­mal frag­te er sich, wie es wäre, Arco­la zu sein, er stell­te sich vor, in sie hin­ein­schlüp­fen um zu wis­sen, wie sie emp­fand, ob sie über­haupt emp­fand, oder ob da nur Lee­re war, so wie es ihm manch­mal vor­kam. Als wür­de sich in ihr drin­nen gar nichts abspie­len, aber viel­leicht wäre das nicht ein­mal unan­ge­nehm. So war es auch gewe­sen, als sie den Lite­ra­tur­preis gewon­nen hat­te, „Freust du dich denn gar nicht?“, hat­te er sie gefragt, weil sie so gewe­sen war wie immer, kei­ne Jubel­sprün­ge und Freu­den­sschreie, und sie hat­te gesagt: „Natür­lich freu ich mich.“

Sie war damals zu ihm gekom­men, hat­te sich auf sein Sofa gesetzt und sei­ne Gitar­re zur Hand genom­men, obwohl sie nicht dar­auf spie­len konn­te, hat­te über das Holz gestri­chen und gesagt: „Ich bin nach Ber­lin ein­ge­la­den, zur Preis­über­ga­be“, und in ihrem Ton hat­te kein biss­chen Eupho­rie mit­ge­schwun­gen. Genau­so gut hät­te sie sagen kön­nen: Übri­gens, übers Wochen­en­de fah­re ich zu mei­nen Eltern. 

So war Arco­la, und am Anfang hat­te ihm ihre Unauf­ge­regt­heit gefal­len. Wo ande­re Frau­en wegen jeder Klei­nig­keit in die Höhe gin­gen, blieb Arco­la ruhig, auch jetzt mit der Kat­ze und sogar dass er lie­ber in Wien blieb und mit Bernd fei­er­te, stör­te sie nicht, ande­re Frau­en hät­ten zu wei­nen begon­nen, hät­ten gesagt: Aber es ist doch das ers­te Mal, dass du Geburts­tag hat, seit­dem wir zusam­men sind. Nicht Arco­la, sie ließ ihn in Wien fei­ern so wie er sie in Linz lesen ließ, und eigent­lich war das auch gut so, so soll­te eine Bezie­hung doch sein, dach­te er. Trotz­dem, manch­mal wünsch­te er sich Arco­la wei­nend, er wür­de ger­ne ihre Trä­nen weg­wi­schen, wenn sie trau­rig war, oder auch wenn sie sich freu­te. Oder jetzt, wenn sie auf­ge­sprun­gen wäre, „Schei­ße!“, geru­fen hät­te, als die Kat­ze pin­kel­te, dann hät­te er sie beru­hi­gen kön­nen, hät­te ger­ne alles für sie weg­ge­wischt, sie danach in den Arm genom­men und gesagt: „Mor­gen kau­fen wir neu­es Streu, dann wird sie auf­hö­ren.“

So aber blieb er neben ihr sit­zen und sah ihr zu, wie sie die Kat­ze strei­chel­te, wie sie der pin­keln­den Kat­ze mehr Auf­merk­sam­keit schenk­te als ihm, wie ihm vor­kam.

© MK, 2012, erschie­nen in der Lite­ra­tur­zeit­schrift REIB­EI­SEN