Der Som­mer saugt alles aus, er nuckelt an den Blät­tern und Flüs­sen und zieht die Kör­per­flüs­sig­kei­ten aus den Lei­bern. Die Stra­ßen­bah­nen stin­ken nach Tou­ris­ten­schweiß und die Autos nach feuch­ten Mana­ger­hem­den und fri­scher Kin­der­kot­ze. Auch am Donau­ka­nal riecht es, nach totem Fisch und ver­faul­tem Laub. Nur in Son­jas Woh­nung ist es dank der neu­en Kli­ma­an­la­ge schön kühl, doch dort will Jakob nicht mehr hin­ein. Lie­ber liegt er in Maries Ach­sel­höh­le und leckt ihr den letz­ten Trop­fen Schweiß vom Kör­per. So bekommt er nicht mit, wie Son­ja anruft und auf sei­ne Mobil­box kreischt, was das soll, ob er jetzt kom­plett durch­ge­knallt sei, ihr ein­fach so den Schlüs­sel auf den Küchen­tisch zu legen, ein fei­nes Arsch­loch sei er! Aber so ist das Leben nun ein­mal. Wäh­rend unter Maries Fens­ter die Bau­ar­bei­ter ins Inners­te Wiens vor­drin­gen, dringt Jakob ins Inners­te Maries vor, und wäh­rend Son­ja die Trä­nen her­un­ter rin­nen, rin­nen Jakob die Schweiß­per­len her­un­ter, bis am Schluss bei­de ganz dehy­driert sind. Was ist aus der gro­ßen Lie­be gewor­den? Das gemein­sa­me Bett gibt es nicht mehr, auch den gemein­sa­men Kühl­schrank nicht, Son­ja trinkt Mine­ral­was­ser in ihrer sanier­ten Alt­bau­woh­nung, Jakob trinkt Mine­ral­was­ser in Maries Gar­con­nie­re, und als bei­de über ihre Lip­pen lecken, schme­cken sie sal­zig, Jakobs Lip­pen vom Marie­schweiß und Son­jas Lip­pen von den Lie­bes­kum­mer­trä­nen. 

Die gro­ße Lie­be ist aus­tausch­bar, wie alles im Leben. 

Auch Kon­sa­lik-Heft­chen sind aus­tausch­bar – jede Woche eine neue Aus­ga­be, ein neu­es Schick­sal, eine neue gro­ße Lie­be. Des­we­gen geht die zwei­und­acht­zig­jäh­ri­ge Hedi Brun­ner zur Tra­fik. Alte Frau­en haben zwei dum­me Eigen­schaf­ten, sie lesen zu viel Kon­sa­lik und trin­ken zu wenig Mine­ral­was­ser – Ange­wohn­hei­ten, die im Som­mer das Leben kos­ten kön­nen.

Jakobs Groß­mutter hat Glück, der Tra­fi­kant ruft die Ret­tung, und eine hal­be Stun­de spä­ter liegt sie unter einem wei­ßen Laken und bekommt Salz­lö­sung in die Venen geträu­felt. Auf Jakobs Mobil­box gesel­len sich die Mut­ter­nach­rich­ten zu den Son­ja­nach­rich­ten, doch der Press­luft­ham­mer unter Maries Fens­ter macht es mög­lich, dass Jakob von all­dem nichts mit­be­kommt. 

So ver­ge­hen die Hunds­ta­ge, die Kat­zen­haa­re kle­ben an Jakobs Kör­per und auch die For­schungs­ar­beit ruht. Als Jakob end­lich sein Han­dy aus der Hosen­ta­sche zieht und den Akku auf­lädt, kommt er mit dem Nach­rich­ten­ab­hö­ren gar nicht mehr nach. Wo er sei, jam­mert die Mut­ter, die Groß­mutter sei umge­fal­len, sie brau­che jetzt sei­ne Hil­fe, wo er ver­dammt noch mal ste­cke, kreischt Son­ja. Aber man braucht schließ­lich auch ein wenig Erho­lung, Zeit für sich. Als Jakob tags dar­auf mit ein paar Fla­schen Mine­ral­was­ser und zwei Lie­bes­ge­schich­ten in die Stra­ßen­bahn klet­tert, hat Son­ja Glück, dies­mal hebt er ab.

Zwei Sitz­rei­hen wei­ter vor­ne kaut ein dicker Fahr­gast mit dem Namen Her­bert Sichoz­ky an sei­ner Wurst­sem­mel und hört grin­send zu.

©MK, 2011; Aus­zug aus mei­nem in Arbeit befind­li­chem Manu­skript, erschie­nen in DUM #45
Nach­trag: Mitt­ler­wei­le gibt es auch den gan­zen Roman: MIT­TEL­STADT­RAU­SCHEN!!