Mit der Pančevo-City-Crowd beim Ex-Teater-Fest
Wieso lernst du eigentlich so viele Menschen in Pančevo kennen?, werde ich von einer Freundin gefragt.
Nun, das ist einfach. Ich bin hier eine kleine Sensation. Ich bin die erste Österreichische Autorin, die für einen Monat lang nach Pančevo (wohlgemerkt: nach Pančevo – nicht nach Belgrad!) kommt.
2 Telefonnummern hat man mir vorab gegeben. 2 Menschen, das reicht in Serbien, um binnen kürzester Zeit 100 zu kennen.
“Wir sind die Pančevo-City-Crowd, du gehörst jetzt zu uns”, sagt J. die es nicht gerne sieht, wenn ich nach Belgrad fahre. S. wiederum möchte, das ich öfters nach Belgrad fahre. Du kannst dich doch nicht immer in Pančevo verstecken, sagt sie – dann erinnere ich sie daran, dass man mich nicht nach Belgrad eingeladen habe. (Ich gebe zu, ich bin froh darum).
Seit vier Wochen bin ich nun schon hier. Auf meiner Küchenanrichte liegen Theaterkarten, heute ist die Antigone dran.
Gestern waren wir bei einer Art “Zettel-Dinner”, dessen Sinn sich mir nicht erschloss.
Mein Handy gibt ein Plong-Geräusch von sich. Ob ich schon auf dem Weg sei. Wir sind schon alle da.
Ich sehe auf die Uhr. Ich bin nicht mal spät dran, eine Tasse Nescafé wäre sich noch ausgegangen. Ich schlüpfe ohne Kaffee in meine roten Schuhe.
*
1 Stunde später.
Kreon mit Brusthaaren und Mundl- Leiberl (= weißes Ripp-Unterhemd), sein sensibler Sohn Haimon (ein Poet), Antigone und ihre bosnische Schwester Ismene (mit Kopftuch und Schafwollsocken), ein junger Feminist und serbischer Antikriegs-Aktivst, ein Priester im weißen Gewand, ein Soldat mit rotem Stern auf dem Helm und Virginia Wolf setzen sich an einen Tisch und diskutieren die Rolle der Frau. Der Poet bekommt von seinem Vater eine Menge Watschen, der Aktivist wechselt mit Virginia Wolf mehrmals die Plätze, der Soldat spricht über die westliche Propaganda und marschiert, Antigone diskutiert heftig mit der Schwester und beschwert sich beim Soldaten, der ständig in ihre Rede hustet .
Der Chor: Vielstimmige, alte mazedonische Lieder, welche von den SchauspielerInnen zwischen den Textfragmenten vorgetragen werden.
J. hält sich die Ohren zu, sie hat Kopfweh. Trotzdem übersetzt sie das Wichtigste für mich. Dass alle SchauspielerInnen im Dialekt sprechen würden, dass es Dialekte aus dem ganzen ehemaligen Jugoslawien seien Ca. 50 Prozent des Textes sind, wenn auch in den modernen Slang übersetzt, aus dem Original von Sophokles.
Am Ende stellen sich die SchauspielerInnen in einer Reihe auf und verraten, woher sie kommen. Sie sagen: Montenegro, Kosovo, Bosnien, Vojvodina.
Unsere Herkunft entschied nicht über die Rollen, heißt es.
Kreons Sohn ist der einzige, der seinen Geburtsort nicht verrät. Er beendet das Stück mit einem einzigen Satz: Ich bin Dichter.
*
Im Anschluss das nächste Stück.
Es zeigtedie junge Generation Ex-Jugoslawiens. Jene, die bleiben und jene, die weggehen. Jene, die Karriere machen (bzw. auf Instagram so tun als ob) und jene, die sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten. Jene, die sich als moderne Westeuropäerinnen geben (Wozu soll ich zurück in den Balkan?) und jene, die sich in der neuen Heimat noch immer fremd fühlen.
Manchmal sage ich zu J. wenn sie wieder für mich übersetzen will: Konzentrier dich aufs Stück, achte nicht auf mich. Ich verstehe das meiste auch so.
Es stimmt. ich bin selbst verwundert, wie viel man noch immer versteht, wenn die Worte fehlen.