Ich schnappe die Kamera, die Schuhe von gestern noch nass, rutsche mit den Socken in die Ballerina und hoffe, dass es nicht wieder zu regnen beginnt. Sie nennen mich Dorothy, Mädchen mit den roten Schuhen. Nur ein Toto fehlt mir, vielleicht sollte ich Fleischkrumen streuen – einer würde mir bestimmt folgen, denn Hunde gibt es hier in der Stadt genug.
Google Maps schickt mich über die Brücke, also ich quetsche mich gegen das Geländer, presse die Kamera gegen meinen Bauch. Das Auto hat ein männliches Geschlecht. PKWS, LKWs, Busse, der Wind lässt mich taumeln, ich halte mich fest, hantle mich weiter, kette ich mich ans Brückengeländer und filme.
Irgendeinen Grund wird Google schon haben, Google hat immer einen Grund.
Ich wate durch den Schlamm, von unten greift etwas nach mir, zerrt an meinem Schuh. Ich bückte mich, entreiße dem Monster das Rot, laufe barfuß weiter. Die Sonne verbrennt mir das Gesicht (endlich!), die Gelsen surren mir in den Ohren, fliegen mir ins Hirn.
Zur Grenze will ich. Donau, Dunav – bis jetzt hab ich immer gedacht, dass du uns verbindest.
S. sagt: Die Donau ist männlich, die Sava ist es nicht. Das birgt doch einen Hauch von Erotik, wenn sich die Sava in den Dunav ergießt.
Und DIE Tamiš?, frage ich.
DER Tamiš, sagt S.
Freilich, der Temesch ergießt sich in die Donau.
Wir lachen über die Worte, hängen gelbe Gesichtchen an.
S. sagt: Die Donau ist männlich, die Sava ist es nicht. Das birgt doch einen Hauch von Erotik, wenn sich die Sava in den Dunav ergießt.
Und DIE Tamiš?, frage ich.
DER Tamiš, sagt S.
Freilich, der Temesch ergießt sich in die Donau.
Wir lachen über die Worte, hängen gelbe Gesichtchen an.
Ich weiche dem Schlamm aus, fange Vogelstimmen und Motorengeräusch. Wieder piepst, der Messenger, Wir könnten zu einer Party nach Belgrad, heißt es, dort gäbe es ein Konzert. Fuck Belgrade, kommt es zurück, wir bleiben hier, wer braucht fucking Belgrad?
No way I will ever move to Belgrade.
F. schippert ihren Britischen Akzent über den Fluss. Ihr Haus steht in der Quarantänezone, Cholera und Typhus, die Kranken hat man einst dorthin verfrachtet, wo jetzt ihr Sommerhaus steht. Die Insel, die hat damals noch zu Österreich Ungarn gehört, wird sie mir erklären, morgen (ich weiß es, weil heute übermorgen ist). Erst dort, wird D. erklären, hinter dem kleinen Kanal, endete das Kaiserreich. Endet die Vojvodina, endet die Eigenständigkeit, die ihnen Mittelserbien verwehren will.
Belgrade is the hell on earth.
F. ist die Lehrerin von D., sie kommt aus London und lebt seit 30 Jahren in Pančevo.
Ich suche nach der Junction.
Conjunction. Disjunctive conjunction, causal conjunction, final conjunction.
Fließt der Temesch nun mit der Donau zusammen oder wird er von ihr verschluckt? Flussmündung. Von wegen ergießt sich.
Alles, was ich finde, ist eine Schottergrube. Maschinen und Maschendraht. Mein Handy gibt keine Ruh, ich zieh es aus der Tasche, macht was ihr wollt, ich bleib hier. Im Englischen darf man sich alles erlauben, solange nur F. nicht daneben steht. Für F. bemühen wir uns, klingen wie little sophisticated British bastards. In Pančevo wird es keinen Brexit geben, wir trinken Earl Grey sa mlekom, London ist näher als Belgrad.
Okay, okay, sagt D., dann eben nicht Belgrad. Braucht eh kein Mensch, dieses Belgrad.
We all will die of Pančevo syndrom.
S. schüttelt den Kopf. Wie kann man nur so stur sein? Machen das die Menschen in Wien auch? Dass sie die Donau so ungern überqueren?
Freilich! Drüben gibt´s das Café Falk, das Donauzentrum, den Donauturm. Kinos, Fußballplätze und Schiffernakeln. Ich kenn Leut, die steigen in keine U‑Bahn, dafür haben sie ein Boot, das tragen sie vom Schrebergarten die Treppen hinunter. Und wieder andere, die möchten drüber der Donau, in Kaisermühlen oder Kagran oder Floridsorf, net begraben sein.
Ich steige die Stufen zum Leuchtturm hinauf. Halte meine Kamera gegen den Wind und filme die Wellen. Die Donau schickt ihre Kinder aus, das eine trifft den Tamesch, das andere spielt alleine weiter. Irgendwo in den Baumkronen ruft ein Kuckuck, ich greife nach meiner Geldbörse, dann gehe ich wieder zurück, durch den kleinen Wald, den gatschigen Weg entlang, über die Brücke.
Rückwärtsgang. Der Bus hupt und rast an mir vorbei. Mein Messenger piept, alle wollen hier bleiben, hier in Pančevo, bei mir will man sich heute Abend versammeln.
Darf man drinnen rauchen?, frage ich S.
Aber ja.
Ich schlage die Hacken meiner roten Schuhe aneinander.
„Es gibt keinen Ort wie zu Hause!“, rufe ich und eile in die Generala Petra Aracica.