Sie ent­schul­digt sich für ihr mise­ra­bles Deutsch ohne einen ein­zi­gen gram­ma­ti­ka­li­schen Feh­ler zu machen. Ihr Zopf eine Mischung aus asch­blond und maus­grau, mit strah­len­den Augen japst sie, vor ein paar Mona­ten Oma gewor­den zu sein. Sie ringt nach dem Gene­tiv: Das Kind mei­nes Soh­nes. Jeder Satz wohl über­legt, im Zeit­lu­pen­tem­po aus­ge­spro­chen. Immer wie­der erklärt sie mir die Bedeu­tung der Beschrif­tun­gen auf den Rega­len, obwohl sie in mei­ner Spra­che ver­fasst sind. Sie ist stolz dar­auf, hier zu arbei­ten, Wis­sen­schaft­le­rin sei sie halt kei­ne, sagt sie. Ich zucke mit den Ach­seln, ich auch nicht, sage ich. Das dür­fen Sie auch gar nicht sein, empört sie sich. Ihre Auf­ga­be ist es doch, zu leben! Das sei nicht vie­len gege­ben, die Bega­bung zur Schrift­stel­le­rei. Was wür­den denn die Men­schen ohne die Autoren machen, sagt sie und ahnt nichts von mei­nen düs­te­ren Gedan­ken.

Wie es mir gehe, hier in Pécs, fragt sie. Ob ich zum Arbei­ten kom­me. Es rutscht mir raus. Oh ja, es lebt sich gut hin­term Zaun, hier kann ich mich ohne schlech­tes Gewis­sen dem Schrei­ben wid­men. Die Frau nickt zustim­mend mit dem Kopf. Das sei schon gut, dass Zäu­ne hoch­ge­zo­gen wer­den. Ihre Poli­ti­ker, sagt sie, sind jetzt auch end­lich ver­nünf­tig gewor­den.

Sie führt mich um die Rega­le her­um, dass ich ande­rer Mei­nung bin, inter­es­siert sie nicht. Stolz zeigt sie auf die Bücher und Zeit­schrif­ten. Zum Abschied wünscht sie mir ein schö­nes Oster­fest. Als ich sage, dass ich Ostern nor­ma­ler­wei­se nicht feie­re, mir jedoch über­le­ge, der Pro­zes­si­on bei­zu­woh­nen, sieht mich betrof­fen an. Sie war­te bereits auf ihren Mann, jetzt gin­ge es hoch auf den Kal­va­ri­en­berg. Jedes Jahr gehe es am Kar­frei­tag rauf auf den Kal­va­ri­en­berg. Ich über­le­ge kurz und beschlie­ße, dass ich nach Hau­se will. Am Weg noch die Fahr­kar­te kau­fen, es ist ohne­hin schon spä­ter als geplant.

Ich ver­las­se das Gebäu­de und gehe zurück durch die Stadt. Kau­fe ein, gera­de noch recht­zei­tig fällt mir ein, dass die Super­märk­te auch Mon­tag geschlos­sen haben wer­den. Ich ver­schie­be den Ticket­kauf auf mor­gen. Im Appar­te­ment koche ich Huhn in Papri­ka­sauce mit Fiso­len und Wur­zel­ge­mü­se. Zum Essen die Nach­rich­ten von ges­tern. In der ZIB zei­gen sie Bil­der vom Papst, der am Grün­don­ners­tag die Füße der Flücht­lin­ge wusch. Ich fra­ge mich, ob die Frau es gese­hen hat. Was sie wohl davon hält. Jesus war uner­wünscht. In einem Stall gebo­ren, schließ­lich gefol­tert und gekreu­zigt. Wir sind süch­tig nach Bil­dern des Leids. Immer habe ich mich gefragt, war­um im Herr­gotts­win­kel kein Bild der Auf­er­ste­hung hängt.

Ich schal­te zu den Nach­rich­ten des heu­ti­gen Tages. In den Phil­ip­pi­nen las­sen sich wie­der ein paar ans Kreuz nageln. Ich muss an H.s Witz den­ken. Viel­leicht ist der Papst gar kein guter Katho­lik, den­ke ich. Aber Jesus hät­te wohl sei­ne Freu­de mit ihm.