Zur Preisverleihung im Mai musste ich von Serbien nach Salzburg reisen – aber es hat sich ausgezahlt. Zu meiner großen Überraschung ergatterte ich nämlich Platz 2 – vor allem aber habe ich sehr nette Menschen / Autor*innen kennengelernt, wie etwa die Preisträgerin Anita Hetzenauer.
Mein Kurzkrimi-Beitrag mit dem Titel “Schlafe, mein Prinzchen” ist übrigens schon etwas älter – er enstand bereits im Jahr 2009 im Zuge einer Krimi-Lesewanderung. Auf die Ausschreibung wurde ich durch eine Kollegin von GRAUKO aufmerksam – danke, Isolde!
Schlafe, mein Prinzchen
1.
Das Gesicht liegt im Schatten, deswegen kann Süßkind sein Gegenüber nicht sehen. Aber hören kann er den Mann, dazu ist so eine Vorrichtung ja gedacht, zum Hören, und hören, das tut Süßkind, von weichem Fleisch und süßem Atem, von blauen Puppenaugen unter nassen Wimpern und rot angelaufenen Backen. Von Schweiß, süßlich-sauer wie Himbeersaft, von strampelnden Beinchen, die Minuten zuvor noch auf dem Fahrrad gestrampelt sind und nun in die Luft treten. Schweiß bricht aus Süßkinds Körper, kein süßlich-saurer Himbeerschweiß, sondern herb-saurer Männerschweiß, er tränkt das Hemd und lässt die Lippen salzig schmecken, führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von den Bösen. Süßkind fährt mit dem Zeigefinger unter den Kragen, Luft, er bekommt keine Luft, der Kehlkopf hüpft nach oben, Süßkind keucht und schluckt, während der Mann auf der anderen Seite mit einer unerträglichen Fistelstimme von lauen Abenden in den Praterauen erzählt.
„Wissen Sie, Herr Pfarrer, heut´ kümmert sich ja keiner mehr um die Kleinen, um mich hat sich damals auch niemand gekümmert, das ist nicht schön, so ohne Liebe aufwachsen zu müssen, so ohne jegliche Geborgenheit. Ich bin doch der Retter dieser armen Seelen, das werden Sie doch verstehen, Herr Pfarrer… Natürlich wehren sie sich anfangs, weil sie es nicht g´wöhnt sind, dass man sie lieb hat, aber Sie sollten seh´n, wie sie sich dann an einen schmiegen, wie junge Kätzchen, bis sie schließlich ganz still liegen. Ich halte sie in meinen Armen und wiege sie, ganz sanft, flüstere ihnen ins Ohr: „Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein“. Das können Sie doch nicht verdammen können, so eine Liebe, Herr Pfarrer, die Liebe ist es doch, wofür unser Herr Jesus gestorben ist, die Liebe, die in unserer heutigen Welt fehlt, aber ich, ich geb diesen armen Kindern ein wenig Geborgenheit, ein wenig Schutz…“
Pfarrer Süßkind stürzt aus dem Beichtstuhl, schöpft Weihwasser aus dem Marmorbecken ‑oh, ihr sündige Ohren‑, nach hinten, aus dem Blickfeld der Betenden und Bittenden. In der Kammer reißt er die feuchten Kleider vom Leib, den Hörer schon in der Hand, doch dann besinnt er sich eines Besseren, bis an sein Lebensende, hat er geschworen, wird er das Beichtgeheimnis bewahren. Zu richten ist Gottes Sache, er selbst kann nur die Absolution verweigern. „Erst wenn du dich selbst richtest, wenn du dich den irdischen Gesetzen unterwirfst und dich stellst, erst dann wird deine Bitte um Vergebung erhört werden. Und nun gehe hin und tue Buße, mein Sohn.“
Und wieder sieht er das zarte weiße Fleisch vor sich, die roten Lippen, leicht geöffnet, die schreckensgeweiteten Augen, Herr hilf!, treibe mir diese Bilder aus den Augen, verdamme das Teuflische aus meinem Denken, führe mich nicht in Versuchung, Herr, der ich dein braver Hirte bin. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt, erbarme dich unser.
Sie finden das Mädchen zwischen Schilf und Wurzeln, das Gesicht nach unten, die blonden Locken über das grünliche Wasser schwebend, ein Bild des Friedens. Enten gleiten vorüber, Kaulquappenschwärme färben das Wasser dunkel, in der Ferne das ängstliche Jubelgeschrei der Hochschaubahnfahrer, Grillen zirpen gegen den rauschenden Verkehr am Praterstern an, hin und wieder Radfahrer, den Blick gegen die Sonne gewendet.
Hugo Kernkräutel hält sich ein Taschentuch vor Lippen und Nase als er an das Wasser tritt. Schweiß klebt am Körper. Es ist die dritte Kinderleiche, die sie diesen Sommer aus den Praterauen ziehen.
Der Tod geht um im Prater, viel zu lang war schon Ruh. Hier, wo die Unglücklichen für ein paar Stunden glücklich sein dürfen, zwischen Schilf und Buschwerk, hier ist schon so manches geschehen, und so manches findet man auch jetzt am Ufer, doch mit der Leiche hat es nichts zu tun.
(…)
mehr dann in der Anthologie, die diesen Herbst im Servus Verlag erscheinen wird!