Reisebericht
verfasst für den Blog “Literaturdialoge” anlässlich meiner Lesereise nach Dalmatien
Eine Straße mit Buswartehäuschen, im „hässlichen Bezirk Strassgang“. Die Tafel mit den Abfahrten ist unvollständig, auf meine hastig gemurmelte Frage bekomme ich Nicken zur Antwort: Zagreb, da, ja.
Die Bank ist kalt, die Finger, die den E‑Reader halten, klamm, ich schiebe mir die Haube unter den Hintern. So sitze ich und denke an Gralla, den Parkplatz, auf dem wir uns immer trafen, den Kaffee, den wir zu siebent tranken, und daran, dass dieses Jahr alles anders sein wird. Denke an I., die mich voriges Jahr mit dem Auto abgeholt hat, diesmal allein, und daran, dass wir alle nicht wissen, was kommt. Älter werden heißt, dass Selbstverständlichkeiten zu bröckeln beginnen.
Der Bus hat Verspätung, er kommt aus Berlin. Vielleicht hat ein Kind zwei Sitze vollgekotzt, vielleicht hat es eine Notreinigung mit Feuchttüchern gegeben. Vielleicht ist eine*r gestürzt, vielleicht musste eine*r von der Ambulanz abgeholt werden, vielleicht gab es einen Unfall, vielleicht ist eine*r gestorben und hat einen Stau verursacht, und die einzige Auswirkung, die ich spüre, sind lächerliche 38 Minuten, die mich jetzt in der Kälte fluchen lassen.
Wir sitzen wie die Tauben aufgereiht, frieren und warten auf den großen, grünen Wurm, dessen Tickets zu billig, dessen Fahrer zu schlecht bezahlt sind, und den wir trotzdem immer wieder besteigen, weil Billigreisen zu den großen Errungenschaften unserer Gesellschaft gehören.
Im Inneren des Busses ist es warm, es riecht es nach Schlaf und Liptauer, der in Berlin vielleicht Paprikaquark heißt. Ich klappe meinen E‑Reader wieder auf, diesmal sind meine Finger warm.
Hinter dem Sveti Rok-Tunnell, hat I. uns immer versprochen, wird alles besser, mehr Sonne, mehr Wärme mehr Überhaupt. Sie hat wie immer recht, die Regenlacken werden kleiner, die Wolken weniger, und als ich Stunden später in Split aussteige, ist da eine Ahnung von Frühling am Meer.
Ich folge den Lichtern und summe das Jadronlinja-Lied, dessen Text wir nie zu Ende gedichtet haben. Tikvica läuft mir nach, er hat einen kleinen schwarzen Hund an der Leine und schreit mir ins Ohr: „Forget Dubrovnik and visit Trogir!“ Ich erinnere ihn daran, dass wir in Split sind, und dass die Lesung nicht in Trogir, sondern auf Brač stattfinden wird. Was gut ist. Sonst hätte ich von Tikvica erzählen müssen, dann hätte Mutter wieder den Kopf geschüttelt und gesagt: Du mit deiner Fantasie, wie sollen dir die anderen da folgen, werd endlich erwachsen.
Tikvica ist eine Figur aus einer meiner Geschichten, den schwarzen Hund aber, den gab es wirklich. Crazy Dog, sagten alle, aber das war nicht sein Name. Dass ich Edi fragen muss, denke ich, als ich mich im Gassengewirr verlaufe und nach dem Central Square Heritage Hotel suche. In meiner Fantasie sind jetzt alle bei mir, meine Freund*innen, mit denen ich normalerweise hierher komme, Tikvica und auch der kleine, schwarze Hund. P. trägt seine Kuscheltiere durch die Straßen, auf der Suche nach einer Dose Pipi.
Split, der Ort der aufgewärmten Geschichten, würde Tikvica jetzt sagen und sich eine Zigarette anstecken. Sie wachsen zwischen den glatten Pflastersteinen aus den Ritzen und greifen mit ihren verblassten Fingern nach mir, nur den Weg zum Hotel weisen sie mir nicht. Drei Mal spaziere ich daran vorüber, bis ich erkenne: Die Unterkunft im dritten Stock erkennt man allein an einem Schild neben einer Holztür, ähnlich dem einer Zahnarztordination. Ich besteige in den Lift, zeige meinen Reisepass, benutze die Schlüsselkarte und ziehe die Tür hastig hinter mir zu – die Geschichten sollen gefälligst draußen bleiben. Ich schlüpfe aus den Schuhen, in Graz läutet das Handy meines Mannes. Dass ich gut angekommen sei sage ich, nach acht Jahren finde ich es noch immer amüsant, dass ihn das wirklich interessiert.
Tags darauf spaziere ich in den Marjan-Park, setze mich auf eine der Bänke und starre aufs Meer. Der schwarze Hund, der mich vor neun Jahren hierher begleitet hat, lebt noch, er heißt Forest, teilt mir Edi mit, als wir ein paar Stunden später an der Riva sitzen. Dank Forest wusste Edi wieder, wer ich bin.
Wir spazieren gemeinsam zum Theater, in dem Café wird die Lesung stattfinden. Wilma liest mir vorab ihre Fragen vor, ich lasse sie an mir vorüberziehen, selbst wenn ich mir Lügen für später ausdächte, hätte es ohnehin keinen Sinn, Interviews wirken auf mich wie ein Wahrheitsserum. Als mich Wilma nach der großen Hitze in meinem Roman fragt, was die bedeute, ob sie eine Metapher sei, schüttele ich den Kopf. Wilma ist die erste in zehn Jahren, die mich nach der Hitze fragt, und wieder wundere ich mich, wie viele Gedanken sich Leser*innen machen. Aber wahrscheinlich liegt es daran, dass man sich in Split die Wiener Hundstage nicht vorstellen kann. In Pancevo haben alle gelacht, damals nach den großen Regenfällen, als es am Fluss drückend schwül war und D. zu mir sagte: Bei uns riecht es manchmal nach den toten Kühen, die es aus Rumänien anschwemmt.
Nach der Lesung diskutieren wir über Sexismus im Literaturbetrieb. Wie wir auf das Thema kommen, weiß ich nicht mehr, aber es lässt uns den ganzen Abend nicht mehr los. Wir bestellen „Hama-Fish“ und besprechen die Situation der alleinerziehenden Frau im diplomatischen Dienst.
Tags darauf, in Brac, wird mir eine Frage vor versammelter Zuhörer*innenschaft gestellt: Ob Literatur von Frauen für Männer weniger interessant sei, weil Frauen mehr über Beziehungen schrieben?
Ich rede mich in Rage, allein die Frage macht mich wütend. Während die Schüler*innen gelangweilt dreinblicken, nicken vor allem die älteren Frauen, eine meldet sich zu Wort, sie sei keine Feministin, sagt sie, aber … Sie erzählt ihre Geschichte und ich ahne: Es ist das erste Mal, dass sie sich traut, die unangenehme Wahrheit in der Öffentlichkeit auszusprechen.
Ihr Frauen müsst ein bisschen Geduld haben, meint Edi, die Welt wurde noch nie in 10 Jahren verändert. Vielleicht. Ja, Ich nicke. Bin ich zu ungeduldig? Zu wütend? Nein. Ich habe einfach nur keine Zeit mehr. Irgendwann ist das Ende der Geduld erreicht, aber jetzt habe ich Hunger und will den Nachmittag genießen.
Unter unserem Tisch hockt ein getigerter Matscho-Kater, er lässt sich von uns streicheln und heimlich füttern. Stjepanka, die für mich übersetzt und die ich besonders mag, erzählt mir von der Herausforderung, Gertraud Klemm zu übersetzen,
Marina schwärmt vom Meer und der Sonne und lobt den Tintenfisch, Edi meint, diese Qualität bekomme man nur im Winter, wenn es keine Tourist*innen hier gibt.
Schon gestern hat er mir erzählt, wie sehr sich Split in den neun Jahren verändert habe, dass es immer weniger Einheimische gäbe, die noch ins Zentrum käme, im Winter sei die Stadt wie leergefegt, im Sommer platze sie aus allen Nähten.
Auf der Fähre zurück setzen wir uns die Hauben auf den Kopf. Ich mache ein Foto, sobald ich wieder W‑Lan habe, werde ich es an meine Freund*innen schicken, damit sie mir glauben, dass es ohne sie auf den Inseln kälter ist.
Den Abend verbringe ich im Hotelzimmer, mit dem Laptop auf den Oberschenkeln und bunt flimmernden Bildern im Flachbildschirm, eine Sucht, die mich jedes Mal in Hotelzimmern befällt.
Wenn du jeden Tag eine Seite schreibst, hast du in einem Jahr auch Roman fertig, meinte Edi vorhin beim Essen. Ich lösche das Kapitel, das ich in den letzen Tagen geschrieben habe, klappe den Laptop zu und zapfe mich durch die Kanäle.
Tags darauf besorge ich eine Flasche Pipi für P. (beim nächsten Treffen werden wir es ihm mit Schlagobers reichen) und rolle meinen Koffer hinunter zur Riva. Das Wetter wäre jetzt gerade richtig, um noch eine weitere Woche hierzubleiben, aber zu Hause wartet Arbeit auf mich. Ich beiße in mein Croissant, klappe den Laptop auf und starre aufs Meer. Bis ich in den Bus einsteige, wird dieser Reisebericht fertig sein. Danach werde ich ihn wieder ewig nicht wegschicken, weil ich denke, dass ich noch was ändern will.