Fünf Minuten Zeit für jeden Text, eine Liste, in die man sich vorab einträgt. Das erinnert ein bisschen an Poetry Slam. Doch halt, nein, es gibt keine Tafeln mit Ziffern darauf. Also doch ein Open Mike, eine offene Bühne für Poetinnen und Poeten, mitten in Dorćol.Wir sind die Treppen hinabgestiegen, Sofija, der Kulturattaché, die junge Universitätsangestellte und ich. Sofija hat die Übersetzung meines Textes für die Lesung in der Unibibliothek ihr Handy geladen, nun trägt sie sich in die Liste ein.
Das Ljubčica ist ein riesiges Wohnzimmer, mit weichen Sesseln, altmodischen Lampenschirmen und Zigarettenrauch.
Anders als in Wien sind die meisten Vortragenden nach ein bis zwei Minuten fertig. Ein kurzes Gedicht und Abgang, alle sind sie jünger als ich, die meisten sogar jünger als S. Auch T. liest eines ihrer Gedichte, aus demselben Zyklus, den sie für unsere Videocollage gewählt hat.
Danach ein offensichtlich lustiger Prosatext, das Publikum lacht. Die blond gelockte Autorin reizt ihre fünf Minuten als erste aus.
Schließlich steht S. auf und tritt nach vorne. Sie liest meinen Text von ihrem Handy ab, ihre Augen haben noch keine Probleme mit mangelndem Licht und zu kleiner Schrift.
Es ist seltsam, den eigenen Text zu hören und bis auf die Namen nichts zu verstehen.
Selbst die Wien hat man offensichtlich ins Serbische übersetzt, soviel bekomme ich mit. S. stockt, sie schiebt eine Erklärung ein. Wien, das sei nicht nur eine Stadt, sondern auch ein Fluss.
Als S. zu Ende gelesen hat, kommt heftiger Applaus. Bravo, Austria!, kommt es von hinten. Ich werde rot.
Eine Besucherin vom Nebentisch kommt zu uns, fragt mich, wie es mit Joe weitergeht. Sie verspricht, zur Lesung ins Polet zu kommen, die in ein paar Tagen stattfindet.
Ich sehe auf die Uhr, es zieht mich zurück nach Pančevo. S. begleitet mich zum Banija. Als wir an zwei jungen Männern und Polizisten vorbeikommen, beginnt sie plötzlich zu rennen. Zerrt mich mit sich. Später erklärt sie mir: Man wisse bei solchen Szenen nie, so eine Kugel könne sich schnell mal verirren.
Ich hüpfe in den 16er, quetsche mich zwischen jugendliche Körper, mein Rucksack ist zu dick, ich muss ihn abnehmen. Der Bus rumpelt die Straße entlang, hinter den Scheiben führen die Belgrader ihre Hunde spazieren. Das Linientaxi wartet bereits, ich lasse mich auf einen der Sitze fallen. Gelsen surren im Wageninneren und hocken sich auf bloße Nacken. Die meisten Fahrgäste tippen in ihre Smartphones, manche haben den Benachrichtigungston auf Laut gestellt, ununterbrochen plingt und plongt es. Der kleine Bus fährt durch die Nacht. Am Hotel Tamiš steige ich aus und freue mich auf eine lange, ruhige Nacht.