“Maes­to­so”

Köf­lach. Dass dort der Vater ihrer Groß­cou­si­ne leb­te, denkt sie. Sie kann­te nur den Namen des Orts, nicht den Mann, und immer dach­te sie dabei an den eige­nen Vater und dass es zu sei­nem Auf­ent­halts­ort kei­nen Namen gab, kein Wis­sen. Jetzt ist auch Köf­lach kein Ort mehr. Die Schau­fens­ter fast alle leer, nur in einem sieht sie schmut­zi­ge Perch­ten-Mas­ken (Lager des Schre­ckens). Sie fragt sich, wo die Men­schen hier ein­kau­fen, die Schu­he, die Nacht­hem­den, dass es irgend­wo ein Ein­kaufs­zen­trum geben muss, viel­leicht aber wird Köf­lach auch DHL-fern­ver­sorgt.
Auf den Häu­sern blaue Schil­der, jedes Haus protzt mit sei­ner Geschich­te. Und mit­ten drin­nen ER, der Kloep­fer, der Werks­arzt, Distrikt­sarzt, Haus­arzt, Bahn­arzt, Armen- und Chef­arzt, Hei­mat­dich­ter, der den Hit­ler gar so gern hat­te, und auf den sie noch immer so stolz sind, von Eibis­wald bis Köf­lach und dar­über hin­aus, immer wie­der Kloep­fer, Kloep­fer, nur in der Gra­zer Biblio­thek hat man ihn aus den Rega­len ent­fernt (Ehren­bür­ger der Stadt ist er trotz­dem noch, wie sie spä­ter her­aus­fin­det).
Nach dem Kloep­fer am Kir­chen­wirt vor­bei, um die Kir­che her­um. “Gast­haus am Gries”, 1979 erschie­nen, noch nie hat sie von dem Roman gehört, noch nie hat sie von Eva Schind­ler Schmied gehört, jetzt fin­det sie die Autorin auf einer der blau­en Tafeln. (Spä­ter wird sie die Goog­le-Maschi­ne befra­gen, aber nichts fin­den, war ja nur eine Frau).
Sie folgt den Weg­wei­sern in die Natur hin­aus, lan­det immer wie­der in Sack­gas­sen. Dann end­lich: Über die Wie­se, durch den Wald, dort­hin, wo die Pfer­de ste­hen. Sie muss an die Oma den­ken, mit der sie und die Cou­si­ne damals unter irgend­ei­nem Baum. Die Oma, die sag­te, dass Zwie­bel wei­nen, wenn man sie schnei­det, dass das eine unter­sucht hät­te, das Geräusch ana­ly­siert, das habe sie, die Oma, im Radio gehört. Die Lach­trä­nen in den Augen­win­keln der Oma wegen der wei­nen­den Zwie­beln, an die erin­nert sie sich noch. Wie sind sie damals über­haupt auf das The­ma gekom­men, irgend­wo zwi­schen den Kop­peln, wäh­rend sie But­ter­bro­te geges­sen haben (in denen sicher kei­ne Zwie­bel waren, aber hat­te die Oma nicht einen auf­ge­schnit­te­nen Apfel dabei?) Jeden­falls woll­ten sie zu den Lipiz­za­nern, auch die Cou­si­ne war damals mit. Haben sie Pfer­de gese­hen? Waren die nicht viel zu weit weg? Und dun­kel. Kei­ne strah­lend wei­ßen Lipiz­za­ner, son­dern grau-brau­ne Pfer­de­kör­per, so hat sie es in Erin­ne­rung. Und wie hieß die­ser berühm­te Hengst noch­mals? Sie fin­det den Namen mit­ten im Wald, auf einem gel­ben Weg­wei­ser. Maes­to­so-Rund­weg. Lächer­lich irgend­wie, denkt sie und erin­nert sich gleich­zei­tig an den Nach­mit­tag bei der Schul­freun­din, als sie die­sen Kitsch-Film geschaut haben, auch das Buch hat sie dann gele­sen, sie waren ja alle ganz ver­rückt nach den Lipiz­za­nern. Und wie stolz waren sie, als sie dann auf einem aus­ran­gier­ten wei­ßen Gaul sit­zen durf­ten, irgend­wo im March­feld, auf einem her­un­ter­ge­kom­me­nen Reit­hof mit einem ewig besof­fe­nen Leh­rer. Am Ende der zwei Wochen dann der Brief an den Tier­schutz­ver­ein, wegen der Ger­te, die immer wie­der auf die Nüs­tern der Stu­te nie­der­ge­gan­gen war. Zwölf waren sie da, Ende der 1980er.
Jetzt fragt sie sich, ob die Oma den Kloep­fer gekannt hat. Und was sie von ihm gehal­ten hat. Die Oma moch­te Mund­art­ge­dich­te, aber sie hass­te die Nazis, von denen es immer noch zu vie­le gab, wie sie immer beton­te. Der Oma hat sie damals auch von dem Brief an den Tier­schutz­ver­ein erzählt. Recht habt’s, sag­te die Oma, man darf sei­nen Mund nicht hal­ten, wenn Unrecht geschieht, auch wenn’s nur um die Vie­cher geht.
Komisch, denkt sie, dass uns das mit der Stu­te damals so nah gegan­gen ist, aber Jugo­sla­wi­en war uns dann wurscht. Und auch jetzt sitzt sie wie­der am Früh­stücks­tisch, glotzt die Zeit-im-Bild in der ORF-TVthek und bestreicht die Sem­mel mit But­ter und Mar­me­la­de. Ab und zu ver­drückt sie eine Trä­ne, ab und zu sagt sie ein Wort, aber wenn sie es außer­halb der eige­nen vier Wän­de tut, heißt es eh bloß wie­der: Sprech’ma von was ande­rem, ist doch so ein schö­ner Tag heut, wozu ihn sich ver­der­ben? […]

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