Jetzt bin ich seit fast vier Monaten kaum noch außer Haus gegangen. Oder sagen wir so: In letzter Zeit geh ich sogar brav. Jeden Tag eine Runde, wenn nicht durch den Wald, dann ist es der übliche Weg: an Magnolienbäumen, polierten SUVs und Zäunen vorbei (white picket fences und so), irgendwo zwischen Straßganger Kirche und Schloss St Martin müssen Sie sich das als Grazer*in vorstellen.
Unsere tägliche Auslaufrunde beginnt zu nerven. So muss sich Bello fühlen, denke ich, immer an der gleichen Hundescheiße vorbei.
Am Gartenzaun Nummer soundso stehen Menschen bei Musik und Bier und Gelächter. Sie tun das jeden Tag, ohne den befohlenen Meter Abstand. Gegenüber schraubt einer Sommerreifen auf PKWs, er hat in seiner Garage zwei Hebebühnen.
Erinnert mich irgendwie an früher. Kindheit und so.
In den Bäumen hocken die Vögel und zwitschern um die Wette, am Wegrand sonnen sich Katzen und führen ihre dicken Bäuche spazieren.
In der Innenstadt, so heißt es in einer Schlagzeile, fehlen die Tauben, in Griechenland fallen die Zugvögel vom Himmel.
Dass es jetzt in Krumpendorf schön wäre, deken wir, die wir von dor geflohen sind.
Welche Phase habe ich erreicht? Rückblickend kann ich vier erkennen.
Phase eins: Berührt mich nicht, ich mach es wie schon die Monate zuvor und verlasse die Wohnung nur, um einzukaufen und mir die Füße zu vertreten.
Phase zwei: Statt wieder ins Leben zurückzukehren und mir die Wartezeit in der Bücherei und in der Innenstadt zu vertreiben, besuche ich diverse Online-Lesungen auf Facebook, schaue alte Krimis auf YouTube und ziehe mir täglich die Pressestunde der ORF TV-thek rein. Lade mir mindestens zehn Bücher runter, von denen ich keines zu Ende lese. Frage mich, wie andere es schaffen, sich zu konzentrieren.
Phase 3: Aktion gegen Langeweile. Mein Schreibzimmer mutiert zum Bastel- und Aufnahmestudio.
Phase 4: Kann keine Online-Lesungen mehr sehen. Auch keine Krimis. Und schon gar keine Pressestunden. Selbst die Todeszahlen berühren nicht mehr. Die Menschen nerven mit ihren Jogginghosen und Webcams, mir wird das Ganze zu privat, ich ziehe mich zurück, lese Bücher, die ich schon einmal gelesen habe, versinke in eine Zeit, in der noch alles gut war.
Jemand wählt eine Telefonnummer und erfährt, dass der Angerufene hier nicht mehr zu Hause sei. So alt bin ich also schon, dass das, was früher ganz normal war, utopisch anmutet.
Mein Mann ist es, der mich aus dem Lehnstuhl holt und zum Gassi gehen ausführt.
Ich werfe mir meine Allergietabletten rein und zähle die Polizeiwägen, die an uns vorüberfahren.
Meine Mutter spricht von der Trockenheit. Dass man Waldbrände befürchte. Dass Graz betroffen sei, mehr noch als Wien.
Die Apokalypse kommt, so oder so, und irgendwann werden wir nicht mehr davonlaufen können, und auch das Einsperren wird uns dann nichts bringen, dann nämlich, wenn der Regen fehlt, wenn die Schneeschmelze fehlt, wenn die Winter zu warm sind und die Natur vor dem Frost erwacht.
Jetzt also.
Die Apokalypse hat längst begonnen, auch hier.
Wir sind verwöhnt.
Wir sind unsterblich, wir liften uns die Falten weg, wir sind die Meister der Verdrängung. Alles, was wir nicht sehen müssen, sehen wir nicht.
Nur Corona, das sehen wir.
Tag für Tag für Tag für Tag.