Über Löcher und Zeit­ma­schi­nen

Ich habe Hun­ger. Es ist 19:21, Bahn von Bruck nach Neu­markt. Im Zug riecht es nach Leber­käs­sem­mel. Oder warm­ge­wor­de­ner Extra­wurst­sem­mel. So genau kann ich das nicht unter­schei­den. 

Ich habe mich heu­te Mor­gen nicht um mein Wohl­erge­hen am Abend geküm­mert. Vor­aus­pla­nen fällt mir schwer. In einer Welt, wo es an jeder Ecke etwas zu essen gibt, denkst du nicht dar­an, dass du am Abend Hun­ger haben könn­test.

In Meid­ling die Fahr­schein­au­to­ma­ten kaputt. Men­schen­trau­ben vor den Gerä­ten. Das Imbiss bis zur Türe hin voll.Keine Chan­ce, recht­zei­tig an etwas Ess­ba­res zu kom­men. Am Bahn­steig dann schon der Zug. Grö­len­de Stei­rer in der­Ver­bin­dung zwi­schen den Abtei­len. Gib einem Stei­rer sein Gös­ser, schon fängt er zu grö­len an. Der Schaff­ner hilflos.Muss sich zur Wehr set­zen, zumin­dest guten Wil­len zei­gen. Auf den Schaff­ner fällt alles zurück, er ist der­Be­schwer­de­ma­na­ger des Zuges.

Der Imbiss­wa­gen steckt, irgend­wo, nur nicht in mei­nem Abteil. In mei­nem Magen ist ein schwar­zes Loch. Abgegriffen.Schiefes Bild. Egal.

Das Grö­len wird lau­ter, stört mich in mei­ner Kon­zen­tra­ti­on. Auf mei­nem Schoß lie­gen die Aus­dru­cke, vor mir der­Lap­top. Blatt für Blatt quä­le ich mich durch, blät­te­re um, suche. Ver­bes­se­re. Dass ich viel­leicht doch end­lich ein­mal so ein klei­nes I‑Pad, den­ke ich. Ob das dann genau­so wie Papier? Papier ist anders. Des­we­gen die vie­len Aus­dru­cke, immer und immer wie­der. Das müh­sa­me Über­tra­gen der Kor­rek­tu­ren in das Schreib­do­ku­ment.

Ich klap­pe mein Mac­Book zu. Ste­cke es in die Hül­le, dann in den Ruck­sack. Kra­me das Buch her­vor. Dabei woll­te ich doch, die Zug­fahrt soll­te doch. Denk nicht immer nur ans Hackeln. Die Stim­me eines Freun­des. Dem ich erzähl­te, dass– und Zug und Pen­deln und Abga­be­ter­mi­ne. Er hat gut reden, jedes Mal, wenn ich ihn anru­fe, ist er im Stress. Wir brau­chen 6 Mona­te, bis wir uns gegen­sei­tig das lang ver­spro­che­ne Tref­fen erfül­len. Er: Schrift­stel­ler, Angestellter,Papa. Ich: nun ja. Wie sich das Mut­ter­ge­hen da noch aus­ge­hen soll, weiß ich nicht. Wo ich doch nicht ein­mal mich selbst ver­sor­gen kann. Mar­me­la­den­toast und eine Tas­se Kaf­fee am Mor­gen, seit­dem andert­halb Glä­ser Lei­tungs­was­se­r­und ein Ilde­fon­so, das ich mei­nem Chef geklaut habe.

Muss an mei­ne Mut­ter den­ken. Wie sie mich nach der Arbeit noch vom Kin­der­gar­ten und knapp vor Laden­schluss zum Meinl. Alseg­ger­stra­ße. Die Wurst­frau dort immer ein Räd­chen Extra­wurst. Und spä­ter dann die­ser Traum. Und nach­dem Traum die Angst. Dass ein ein­zel­ner Alp­traum von einer Pup­pe und einem Päck­chen Wurst. Dass der dein gan­zes­Le­ben ver­än­dern kann. Oder fast. Noch heu­te muss ich mich zwin­gen, die Decke im Som­mer nicht bis ans Kinn. Dass­mich die­se Pup­pe nicht holt, auch wenn ein Kör­per­teil frei. Dass sie nicht durchs Fens­ter fliegt um sich zu rächen.Dafür, dass wir sie weg­ge­wor­fen. Dass ich sie nicht geliebt habe. So wie eine Mut­ter ihr Kind lie­ben soll.

Und dass ich das auch an die Wand hän­gen muss. Dass das auch dazu­ge­hört, den­ke ich.

Hin­ter den Schei­ben wird es dun­kel. Ich bin wie­der zwi­schen den Hügeln. Es muss kalt sein drau­ßen, ich rie­che kei­ne­Kü­he. Viel­leicht aber liegt es auch an den geschlos­se­nen Fens­tern und dem Leber­kä­se­ge­ruch.

Leber­kä­se gehört nicht ins Hüge­li­ge. Leber­kä­se bekam ich von der ande­ren Groß­mutter, dort wo es flach. Wie­ner­Be­cken. Leber­kä­se geba­cken, mit Peter­si­l­erd­äp­fel. Und Leber­käs­sem­mel. Damals, am Kar­frei­tag. Als wir die Leber­käs­sem­mel geteilt. Und beim vor­letz­ten Bis­sen fällt es ihr ein : Um Him­mels Wil­len, heu­te ist doch! Und mir der­Bis­sen im Hals. Wür­ge. Die Sem­mel der Oma in die Hand. Aber ist doch nicht so schlimm, wir haben doch nicht­ab­sicht­lich…

Und das mit Gott. Das ist ein biss­chen so wie mit der Puppe.Die Pup­pe hat alles gese­hen. Hat immer gewusst, wo   und was ich mache. Nur wenn ich ganz unter der Decke.

Und Gott, der sieht auch alles. Der sieht ganz genau hin, wenn wir am Kar­frei­tag Leber­kä­se. Ich bin mir nicht sicher, ob er uns ver­zei­hen wird. Dass wir das ver­ges­sen haben, dass heu­te sein Sohn.

Jetzt hör auf, sagt die Groß­mutter, brauchst doch nicht wei­nen.

In Wien immer Gott. Die Groß­mutter und der Groß­va­ter. Der Groß­va­ter kommt vom Land. Dort gibt es die geweich­ten­Ei­er. Wie wenn man sie weich machen wür­de dort im Was­ser. Ich den­ke an Kuschel­weich und den Bären.

Die geweich­ten Eier sind spe­ckig und rot. Rie­chen nach Schwei­ne­fett, sind nicht weich. Ich mag kei­ne har­ten Eier, vor den roten Spren­keln am Eiweiß graust mir. Das Eier­pe­cken ist lus­tig, die Eier isst mei­ne Mut­ti.

In der Stei­er­mark gibt es kei­ne Kir­che. Und kei­ne Tage, an denen man was nicht essen darf. Am Frei­tag ist Mehl­spei­sen­tag. Ich mag kei­ne Top­fen­knö­del seit­dem ich ein­mal zu hef­tig geschau­kelt und die gan­zen Knö­del erbro­chen habe. Mei­ne stei­ri­sche Groß­mutter kocht Reis­schmarrn. Ich darf mir eine Por­ti­on Reis abzwei­gen, Mais hin­ein mischen.

Im Hort esse ich immer das, was die ande­ren nicht mögen. Tau­sche mei­ne Papri­ka­scha­len gegen die Fleischfüllung.Sammle Schwam­merl und ver­schen­ke den weiß-wab­b­ri­gen Top­fen­auf­lauf.

Mein Bru­der isst nur Schnit­zel und Extra­wurst­sem­meln. Mein Vater sagt, er weiß auch nicht, wie er ihn zu wasan­de­rem zwin­gen soll. Mein Bru­der ist 10 Jah­re jün­ger. Ich habe als Kind immer Gemü­se geges­sen. Kohl, Let­scho, Kür­bis­ge­mü­se. Por­ree, der in Wien Lauch heißt. Boh­nen, die in Wien Fiso­len hei­ßen. Magst ein Wurst­schüs­serl dazu?Nein.

In der Stei­er­mark hat es gehei­ßen: Bes­ser einen Bis­sen übrig las­sen als einen zuviel. Nicht, dass du spei­berlst.

Zuviel, das ist mir nur bei den Kraut­fle­ckerln pas­siert. Ein Tel­ler, zwei Tel­ler, drei Tel­ler. Das habe ich noch heu­te, ist mir das ein­zi­ge Kin­der­es­sen, das mir in die­ser Form geblie­ben ist.

Drau­ßen wird es dun­kel. Es ist schon fast acht. Und dass es erst jetzt. Da muss es doch auch bald wär­mer. Nächs­tes Mal viel­leicht schon ohne Dau­nen­ja­cke.

Knit­tel­feld. Kommt noch Zelt­weg.

In einer hal­ben Stun­de die Trep­pen hoch. Auf­sper­ren. Mei­ne Nach­ba­rin soll­te auch schon da sein. Wenn ich jetzt bei ihr klop­fe, dann kom­me ich wie­der nicht. Es sei denn, sie hat etwas zu essen zu Hau­se. Oder ich mache das mor­gen. Gehe­gleich hin­auf in das Gast­haus, das in mei­nem Roman anders heißt. Sehe Rudolf sit­zen. Schnee­flo­cken tan­zen wäh­ren­der auf sei­nen Sohn war­tet. Und dass das schon 103 Jah­re her ist. Und doch kein Jahr. Dass ich die Ver­gan­gen­heit neu­erfin­de. Und das, ohne in die Zeit­ma­schi­ne des Dr. Emmett L. Brown zu stei­gen.