Geis­ter­dorf Wasen­dorf

Wasen­dorf. Hier stand das Haus mei­ner Groß­mutter. Das Haus, in dem mein Vater und sei­ne Schwes­tern auf­wuch­sen. In den 60ern wohn­ten hier noch vie­le Berg­ar­bei­ter­fa­mi­li­en. 1978 wur­de im Berg­werk Fohns­dorf der letz­te Hunt Koh­le her­auf­be­för­dert. Mit einem Schlag waren 1000 Berg­ar­bei­ter ohne Arbeit.

Mein Vater leb­te damals bereits in Wien. Mei­ne Tan­ten zogen nach Graz. Mei­ne Groß­mutter folg­te ihnen 1982.

Wasen­dorf ist für mich eine sen­ti­men­ta­le Erin­ne­rung an mei­ne Kind­heit. Ein rie­si­ger Gar­ten und eine noch rie­si­ge­re Kuh­wei­de. Heu­te sehe ich, dass es ein klei­ner Fleck Gras war. Kühe gibt es kei­ne mehr. Ges­tern habe ich ein paar Pfer­de gese­hen. Das Gast­haus Beer und die Stall­an­la­gen sehen auch schon ziem­lich bau­fäl­lig aus.

Rund­her­um liegt alles in Trüm­mern. Wasen­dorf ist ein Geis­ter­ort. Und doch sieht man inmit­ten des Ver­falls in der Schacht­sied­lung bun­te Häus­chen. Litt­le boxes on the hills­i­de. Die Leu­te dort drin­nen müs­sen die Jalou­sien run­ter­las­sen. Oder wie sonst ertra­gen sie den Anblick gegen­über?

Eine Nach­bar­schafts­in­itia­ti­ve von 2 Wochen­en­den. Ein Last­wa­gen und eine Fahrt zur Müll­de­po­nie, den­ke ich. War­um unter­nimmt hier kei­ner was?

Kind­heits­ort Wasen­dorf im Som­mer 2012

Nach­trag

Anfang Juli 2013 bekam ich ein Mail von Joe Schweg­ler – einem ehe­ma­li­gen Fohns­dor­fer, der mitt­ler­wei­le in St Gal­len lebt und eine Web­site für aus­ge­wan­der­te Fohns­dor­fer betreut. Und so erfuhr ich, dass die Häu­ser Wasen­dor­fer Stra­ße 18 und 20 am Schacht­ein­gang mitt­le­rei­le reno­viert wur­den.

Als ich die­sen Blog star­te­te, wuss­te ich: Ich hat­te die Fotos im Som­mer 2012 geschos­sen. War nach Wasen­dorf gefah­ren (mit dem Bus) und hat­te das Haus mei­ner Groß­mutter auf­ge­sucht. (Wie schon mit 24, als ich mich zum Wasen­dor­fer Ried durch­fra­gen muss­te und nichts mehr erkann­te.) Ich hat­te mir Wasen­dorf ange­se­hen. Den Ort mei­ner glück­li­chen Kind­heit. Wenn man dann vor den ver­fal­le­nen Wohn­häu­sern steht – nun, ich kam die­ses Jahr nicht dazu, noch­mals mit mei­nem Foto­ap­pa­rat aus­zu­rü­cken. Ver­schob es immer auf das nächs­te Wochen­en­de. Ich foto­gra­fier­te Reif­ling, Para­deis, das Mag­da­le­n­en­vier­tel – ja, sogar Die­ters­dorf. Sie wer­den die Häu­ser schon nicht prompt in dem drei­vier­tel Jahr plötz­lich saniert haben, wo sie doch nun schon seit Jahr­zehn­ten ver­fal­len, dach­te ich. Viel­leicht hielt mich etwas zurück. Man redet sich immer ein, dass da kei­ne Trau­er ist. Mei­ne Oma zog nach Graz als ich 6 war, ich wohn­te in  Wien, was ging mich der Wasen­dor­fer Ver­fall an? – In mei­nem Roman wur­de er den­noch The­ma.

Und dann sah ich die Dia­show auf der Web­site, die Joe Schweg­ler mir als Link zukom­men ließ. War ver­wun­dert. Da gibt es also nicht nur Abwan­de­rung. Das ist das Para­do­xon, das ich auch in Juden­burg erlebt habe.  Man sieht die leer­ste­hen­den, den Ver­fall preis­ge­ge­be­nen Häu­ser. Dane­ben ent­steht Neu­es, zünd­holz­schach­tel­ar­ti­ge, wesen­lo­se Häu­ser­blö­cke wie die in Mur­dorf.

Die Reno­vie­rungs­ar­bei­ten in Wasen­dorf freu­en mich beson­ders. Dass man die­se alte, bau­fäl­li­ge Sub­stanz angeht. Dass man da was lässt. Eine Brü­cke zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart. Wasen­dorf ist also wie­der eine Rei­se wert.

Nach 3 Mona­ten Auf­ent­halts­sti­pen­di­um in Juden­burg mer­ke ich auch eines: Manch­mal sind weit ent­fern­te Orte näher als die, die ganz nah lie­gen. So ist St Gal­len Fohns­dorf schein­bar näher als Juden­burg. Was ich in Juden­burg such­te, fin­de ich in einem Mail, das mir aus der Schweiz gesen­det wird. Heu­te wur­de ich nach mei­nem Groß­va­ter gefragt. Dass man sich an mei­ne Fami­lie noch erin­nert, hieß es. Das ist ein biss­chen so, als hät­te mich mein Groß­va­ter selbst besucht. Mein Groß­va­ter, der starb, als ich ein hal­bes Jahr alt war, weil er ver­ges­sen hat­te, den Schran­ken zu öff­nen. Mein Groß­va­ter, der letz­te töd­lich Ver­un­glück­te im Fohns­dor­fer Berg­werk.

(http://gery48.beepworld.de/ – Home­page der Fohns­dor­fer am Boden­see)

Auf der Home­page fin­det man außer­dem einen Film in 2 Tei­len über Wasen­dorf aus dem Jahr 2010 mit wert­vol­len Infor­ma­tio­nen zu Geschich­te und Gegen­wart des Ortes (http://gery48.beepworld.de/videoclips.htm)

Nach­trag 8.9.2021:

Mitt­ler­wei­le hat sich Wasen­dorf sehr ver­än­dert – vie­len Dank an Wal­traud Gray­er für die Fotos!

Wal­traud Gray­er, Sep­tem­ber 2021