Ein Juden­kopf im Wap­pen?

22. Feber 1939
An das stei­er­mär­ki­sche Lan­des­ar­chiv, Graz
Bezüg­lich der Namens­än­de­rung von Juden­burg ist mir fol­gen­des Schrei­ben zuge­kom­men: Da unser Füh­rer die Losung aus­ge­ge­ben hat: „Aus­mer­zung alles Jüdi­schen aus unse­rem Vol­ke und Rei­che!“, glau­ben wir, daß auch Ihre kern­deut­sche Stadt einen ande­ren Namen wäh­len soll­te. Wir schla­gen vor: Guten­burg oder Goden­burg, wobei man an die Donau-Goten den­ken könn­te, die einst in der Stei­er­mark geses­sen haben.
Mit Deut­schem Gru­ße und Heil Hit­ler!

(* aus: Heimo Halb­rai­ner, Gerald Lam­precht, Ursu­la Mind­ler: unsicht­bar – NS-Herr­schaft: Ver­fol­gung und Wider­stand in der Stei­er­mark, Graz 2008, 314 S., EUR 25,00, ISBN 978–3‑902542–11‑3)

Der Name Juden­burg pass­te den ari­schen Herr­schaf­ten natür­lich nicht so ganz in ihr juden­frei­es Welt­bild. Juden­burg –das klang nach Schand­fleck auf der Land­kar­te, nach etwas, das es aus­zu­mer­zen galt. Natür­lich nicht die schö­ne Zir­ben­stadt selbst, denn die war ja bald juden­frei und hat­te nur mehr rein ari­sche Geschäf­te. Adolf­burg, Zirbenstadt,Gutenburg, Jubel­burg und Liech­ten­stein – so lau­te­ten die ver­schie­dens­ten Vor­schlä­ge. Es wun­dert, dass die brau­nen­Her­ren an der Macht zwar wort­ge­wal­tig debat­tiert und Schrei­ben hin und her gesen­det, jedoch nicht sofort gehan­delt haben. Man woll­te das Ende des Krie­ges abwar­ten, bevor man eine end­gül­ti­ge Ent­schei­dung traf. Hat­te wohl doch grö­ße­re Sor­gen als den Namen einer ver­gleichs­wei­se (für ein rie­si­ges Reich) so klei­nen Stadt. (Den Haupt­platz jedoch­hat­te man sofort umbe­nannt – in Adolf Hit­ler Platz. Soviel Respekt muss­te schon sein.)

„Juden­burg, das ist doch die Stadt, die einen Juden­kopf im Wap­pen trägt“, wur­de ich in Wien ange­spro­chen. War­um­trägt Juden­burg seit 1959 tat­säch­lich einen jüdi­schen Kopf im Wap­pen? Spä­tes schlech­tes Gewis­sen? – Nun, der Kopf­auf dem neu­en Wap­pen ist kei­ne Neu­erfin­dung. Nur: ob das alte Wap­pen tat­säch­lich einen Juden­kopf dar­stell­te? Manist sich nicht sicher. In einem Buch aus dem Jah­re 1988 lese ich, dass der Kopf nicht, wie ange­nom­men, der Kopf eines­Ju­den sei, son­dern der eines rei­chen (christl.) Juden­bur­ger Bür­gers, der auch das Amt des Stadt­rich­ters und­Bür­ger­meis­ters beklei­det hat­te. Goo­gelt man das Juden­bur­ger Wap­pen auf Wiki­pe­dia, steht dort aller­dings schwarz auf weiß: „Im roten Schild ein links­ge­kehr­ter wei­ßer, mit Juden­hut bedeck­ter Juden­kopf“.

Ver­wirrt fra­ge ich nach, und zwar beim Lei­ter des hie­si­gen Stadt­mu­se­ums. Dr Micha­el Schie­stl ver­mu­tet, dass es sich­beim alten Wap­pen um ein spre­chen­des Wap­pen han­del­te. Dass der Jude also tat­säch­lich das Wort Juden­burg­ver­kör­pern soll­te. Dass das nicht so unge­wöhn­lich gewe­sen sei, las­se ich mir erklä­ren, dass man damals öfters solch spre­chen­de Wap­pen ver­wen­det hät­te. Aber ganz sicher sei man sich eben doch nicht, auch wenn es sehr danach aus­sieh­tals sei das Pri­vat­sie­gel eines jüdi­schen Kauf­man­nes zum Sie­gel einer gan­zen Stadt gewor­den.

1959 jeden­falls ent­schied man sich bewusst für die Dar­stel­lung eines Juden­kop­fes. Des­we­gen auch die offi­zi­el­le­Be­schrei­bung auf Wiki­pe­dia. Ich muss mei­nem Wie­ner Bekann­ten also Recht geben – damals kann­te ich nur mei­nen­Rei­se­füh­rer aus dem Jahr 1988. Eine Ver­mu­tung immer­hin dürf­te rich­tig sein: Ob nun Jude oder Christ, ein Kauf­mann war´s.

Der Name Juden­burg selbst stammt übri­gens vom Wort „Judin­bur­ch“ ab – hat also gar nichts mit Juden zu tun.Judinchburch – so steht es  in einer Schen­kungs­ur­kun­de aus dem Jahr 1074. Knapp 30 Jah­re spä­ter wird Jun­den­burg erneut erwähnt – als „mer­ca­tum Juden­purch“, die ältes­te stei­ri­sche Kauf­manns­sied­lung.

1224 wird Juden­burg zur Stadt erho­ben. Der Han­del mit Ita­li­en flo­riert, ja, sogar einen eige­nen Juden­bur­ger Gul­den­gibt es, und die­ser gilt im 14. Jh immer­hin als die wich­tigs­te Gold­mün­ze Öster­reichs. Auch die Eisen­ver­ar­bei­tung trägt zum Wohl­stand der Stadt bei.

Aber woher kam der Name Judinch­burg?

Die Händ­ler, ja, die waren durch­aus auch Juden. Letz­te­re sie­del­ten sich um 1300 im Bereich der Heiligen-Geist-Gasse(also in der Gas­se hin­ter mei­nem Ate­lier­fens­ter) an und waren für den raschen Auf­stieg der Stadt ver­ant­wort­lich. Wie­so oft. Es brauch­te ja Geld­wechs­ler, und als Christ durf­test du so einen Beruf nicht aus­üben. Und Geld gab es in Juden­burg genug zu wech­seln, lag Juden­burg lan­ge an einer wich­ti­gen Han­dels­rou­te. Aber 1300 gab es den Namen schon.

Tat­säch­lich lei­tet sich der Name Juden­burg von Jut­ho ab, einem aus dem Geschlecht der Eppen­stei­ner. Die Burg wur­deal­so nach ihrem Erbau­er genannt – wie so oft. Und die Juden wohn­ten ja auch nicht in der Burg, son­dern in der Stadt.Im Bereich der Burg sie­del­ten sich Rit­ter und Ade­li­ge an. So kam es zu einer Tren­nung zwi­schen dem bür­ger­li­chen und dem ade­li­gen Teil Juden­burgs. Auf dem frei­en Feld dazwi­schen wur­de 1357 das Augus­ti­ner­e­re­mi­ten­klos­ter erbaut.

Übri­gens wird schon in einer Urkun­de aus dem Jah­re 1260 die außer­or­dent­lich fort­schritt­li­che Was­ser­ver­or­gung der­Stadt erwähnt. Der Min­ne­sä­ner Ulrich von Liech­ten­stein hat­te näm­lich eine Was­ser­lei­tung von den Ber­gen zur Stadt­hin errich­ten las­sen, die sich in den Stadt­bach und in den Burg­bach teil­te. Die­se Anla­ge blieb teil­wei­se noch bis ins 20.Jh erhal­ten.

Juden­burgs wirt­schaft­li­che Bedeu­tung war im Mit­tel­al­ter eine enor­me. Der Han­del blüh­te und die Stadt und ihre Bür­ger besa­ßen beträcht­li­che Vor­tei­le. So besaß Juden­burg z.B. eine eige­ne Gericht­bar­keit, das Sta­pel- und das Münz­prä­ge­recht sowie das Recht, Gold zu tau­schen. Pri­vi­le­gi­en wie die­se mach­ten Juden­burg zur reichs­ten Stadt des­Lan­des.

Durch die stän­di­ge Bedro­hung der Tür­ken im 15. Jh sowie poli­ti­sche Zwis­te fie­len jedoch hohe Kos­ten für dieGrenz­si­che­rung an, auch ging es wirt­schaft­lich nicht mehr ganz so gut wie noch im 14.Jh . Wie zahl­rei­che Brie­fe bewei­sen, waren Bür­ger und Ade­li­ge in der 2. Hälf­te des 15. Jh bei ihren jüdi­schen Geld­ge­bern schwer verschuldet.Dies bot  – wie über­all sonst auch in der christ­li­chen Welt –  Anlass, gegen sie vor­zu­ge­hen. 1495 beschloss Maxi­mi­li­an, alle Juden des Lan­des zu ver­wei­sen. 1496 wur­de auch hier die jüdi­sche Bevöl­ke­rung aus der Stadt ver­trie­ben. Die­Stra­fe folg­te auf den Fuß, könn­te man sagen –1504 kam es zu einem ver­hee­ren­den Stadt­brand. Wäh­rend man in jahr­zehn­te­lan­ger Arbeit die Häu­ser, die Kir­chen und den Stadt­turm neu errich­te­te, blieb die Burg eine Rui­ne.

Die nächs­te Juden­ver­trei­bung fand – wie in ganz Öster­reich – 1938 statt, als der NS-Ter­ror auch im Aich­feld Ein­zug hielt und die Öster­rei­cher sich von dem Blöd­sinn weiß Gott was erhoff­ten. Etwas, das – wie wir wis­sen – nie ein­traf. Eine hohe Arbeits­lo­sen­ra­te, Ver­bit­te­rung, Armut, wür­de mei­ne Oma sagen. Mas­sen­hys­te­rie und eine per­fek­te­Wer­be­ma­schi­ne­rie, set­ze ich oben­drauf. So funk­tio­nie­ren Krie­ge, und Dik­ta­tu­ren erst recht. 

Kurz vor Kriegs­en­de, als die rote Armee bereits näher rück­te, wur­den unga­ri­sche Juden zwangs­eva­ku­iert und quer­durch die Stei­er­mark auf einem Todes­marsch Rich­tung Maut­hau­sen geführt. Die Rou­te führ­te auch über den Gabe­rl­sat­tel Rich­tung Weiß­kir­chen. Augen­zeu­gen erin­nern sich an die aus­ge­hun­ger­ten, müden Men­schen, die mit­Peit­schen vor­an­ge­trie­ben bzw. vor den Augen der ent­setz­ten Bevöl­ke­rung erschos­sen wur­den. Trotz der Pro­zes­se wei­sen heu­te nur noch weni­ge Spu­ren auf das Schick­sal der jüdi­schen Zwangs­ar­bei­ter. 7000 sol­len sich Anfang 1945 in stei­ri­schen Lagern befun­den haben. 

Nach dem 2. Welt­krieg gab es in Juden­burg ein DP-Lager. „Dis­pla­ced Per­sons“, derer gab es am Ende des Krie­ges lei­der genug.

So klein und unbe­kannt einem Juden­burg und das Aich­feld heu­te erschei­nen mögen: Hier hat sich  Geschich­te abge­spielt. Mit­un­ter auch eine Geschich­te, die heu­te ger­ne in Schu­ber gesteckt wird. An den stei­ri­schen Widerstand(der hier noch in einem eige­nen Blog­ein­trag fol­gen wird) erin­nert man sich natür­lich lie­ber als an den Todes­marsch, die­Zwangs­ar­beit und die Über­ga­be der Kosa­ken an die rus­si­sche Armee. 

Wenn man Juden­burg goo­gelt, fin­det man nicht viel. Aber wenn man in den Schu­bern des Stadt­mu­se­ums ein wenig tie­fer gräbt, kommt man nicht so schnell wie­der an die Ober­flä­che – so viel fin­det man dort.

Für alle, die sich für die Juden­bur­ger Geschich­te inter­es­sie­ren, las­se ich heu­te wie­der einen Buch­tipp hier – ein­fach das­Bild ankli­cken und Sie kom­men zum Link.