Über Müt­ter und Erb­krank­hei­ten

Die Autorin ist gera­de in Wien. Hat beschlos­sen, den 1. Mai nicht unter dem Juden­bur­ger Mai­baum zu ver­brin­gen (kein Blog­ein­trag um 6:30 im Rail­jet nach Vil­lach also). Die Woh­nung der Autorin ist ein Sau­stall (als hät­te eine Bom­be ein­ge­schla­gen, wür­de die Autorin­mut­ter sagen). So ist das, wenn man die Wäsche und die Bücher von einem Ort zum ande­ren schleppt, geschwind die hel­le und die bun­te Wäsche aus­ein­an­der divi­diert, in die Arbeit hetzt, von dort zum all­mo­nat­li­chen Tarock-Abend. Dort mit einem Glas auf den eige­nen Geburts­tag ansto­ßen. Am nächs­ten Vor­mit­tag zum Finanz­amt, wo einem erklärt wird, dass man da die Aus­ga­ben und Ein­nah­men bit­te­schön noch in das Zusatz­for­mu­lar (E1a) zu schrei­ben hat. Also wie­der alles von vorne.„Einkommenssteuererklärung für Dum­mies“ – die­ses Buch gibt es noch nicht. Eine Markt­lü­cke, denkt die Autorin, und wit­tert das gro­ße Geld, weiß aber jetzt schon, dass sie kei­ne Lust haben wird, ein sol­ches Buch zu schrei­ben. (V.a. das Recher­chie­ren wäre nicht sehr lust­be­tont.) Vom Finanz­amt zum Laden mit den bun­ten Bän­dern (Leo­pold­stadt). Schnell etwas ein­kau­fen. Vor ihr eine dicke Frau – Roma, Sin­ti, oder auch nicht – Zigeu­ne­rin denkt sie und schilt sich gleich selbst, weil poli­tisch nicht kor­rekt. Kor­rekt: Eine Frau mit brei­tem Gesäß und noch brei­te­rem Ein­kaufs­wa­gen. Die Autorin grum­melt: Was muss die da mit­ten im Gang ste­hen. Vor dem Milch­re­gal dann die Bio­but­ter so fest im Kar­ton, dass die Autorin alles auf den Boden legt, um die Hän­de frei zu haben: Schlüs­sel, Geld­bör­se, Brot. Klaubt alles (wie sie glaubt) wie­der auf, holt sich ein Kaf­fee­jo­ghurt (Sucht­mit­tel). Da steht die Frau, die vor­hin den Weg ver­stopft hat, vor ihr, drückt ihr den Schlüs­sel in die Hand. Fasst mit bei­den Hän­den zu, herz­lich. Du auf­pas­sen, Mäd­chen! Und schon kriecht die Scham hoch. Dass sie so geätzt hat hin­ter der gemüt­li­chen Frau, die ihren Ein­kaufs­wa­gen so lang­sam schob. Dass es doch Wich­ti­ge­res gibt als die­se paar Minu­ten. Zum Bei­spiel die­se Herz­lich­keit. Dass eine rund­li­che Frau mit einem war­men Hän­de­druck alles weg­bläst. Den gan­zen Finanz­amt-Frust und poeT­ree-Per­fek­tio­nis­mus-Stress. Dass es doch völ­lig egal ist, ob die Bän­der auch wirk­lich breit genug sind und dass der Reif in letz­ter Sekun­de nun doch umge­stal­tet wer­den muss. Die Autorin geht in die Woh­nung und sagt sich selbst: Hab doch ein­fach Ver­trau­en in die Mit­tä­ter (GRAU­KO) – meist klappt doch sowie­so alles wun­der­bar. Zufäl­lig fällt ihr dann noch ein Arti­kel über Stress und Per­fek­tio­nis­mus in die Hän­de. Daher also, Fami­li­en­krank­heit. Die­se per­ma­nen­te Angst vor Feh­lern. Die Angst vor allem, das noch ansteht, vor dem Das-muss-ich noch-per­fekt-erle­di­gen-und-jenes. Die wich­ti­ge Post­rech­nung zum Bei­spiel, die ihr ver­lo­ren gegan­gen ist und die sie heu­te um halb drei Uhr in der Früh zu suchen begon­nen und den­noch nicht gefun­den hat. Dann noch Küche geputzt und alles Gewand auf­ge­ho­ben. Wie­der schla­fen gelegt, auf­ge­stan­den, am Maga­zin gear­bei­tet. Die U‑Bahn Rich­tung Sie­ben­hir­ten, Park­platz Per­fekta­stra­ße, wo die eben­falls erschöpf­te Mut­ter war­tet. Weil die zwi­schen eige­ner Mut­ter, Mann, Toch­ter, Haus­halt, Enkel­sohn und Job pen­delt. Mama, schau auch ein­mal auf dich, sagt die Toch­ter und weiß: Es spricht sich immer leich­ter wenn man ande­ren rät. Sitzt im Auto und Lie­bes­ge­fühl über­flu­tet sie. Das kann pas­sie­ren, in den letz­ten Jah­ren immer öfter. Da kann man Kämp­fe aus­fech­ten, wie man will: Am Schluss, nach all den Krie­gen, bleibt die Lie­be. Das ist jetzt kit­schig, aber auch schön, denkt sich die Autorin. Manch­mal erkennt man erst spät wie ähn­lich man ein­an­der ist. Die Ähn­lich­keit, die man Jah­re lang bekämpft, tut gut, wenn man die 30 über­schrit­ten hat. Groß­mutter-Mut­ter-Toch­ter, da pflanzt sich was fort. Und sei es „bloß“ die Angst, selbst nicht zu genü­gen. Wir het­zen unse­ren hohen Ansprü­chen hin­ter­drein und wer­den uns selbst nicht gerecht. Erwar­ten von ande­ren, was wir uns selbst nicht geben kön­nen. Und gera­de dann, wenn wir den­ken, dass wir etwas wirk­lich, wirk­lich gut gemacht haben, bleibt die Aner­ken­nung aus. Mei­ne Mut­ter und ich – unse­re per­fek­tio­nis­ti­schen Stö­run­gen drü­cken sich auf ande­re Wei­se aus, aber sie haben die­sel­be Wur­zel. Rei­chen zurück in die Ver­gan­gen­heit – wie weit? Ich spre­che von Juden­burg. Von „der ande­ren“ Fami­lie. Da gibt es das nicht in die­ser Form. Und stel­le fest: Mei­ne Mut­ter hat sich dort auch ein­mal behei­ma­tet gefühlt. Und wie­der den­ke ich an die Frau im Super­markt. Dass es manch­mal doch reicht, wenn jemand dei­ne Hand drückt und dir einen war­men Blick schenkt. Dabei hat­te ich den gar nicht „ver­dient“. Ich habe hin­ter der Frau laut geflucht und sie zahl­te es mir mit Herz­lich­keit heim. Für die Frau war ich ein zer­streu­tes Mäd­chen, dem man den Schlüs­sel in die Hand drückt. Das man vor den bösen Ein­bre­chern war­nen muss. Damit ihm nichts geschieht. Eine wild­frem­de Frau, die den ver­letz­li­chen Men­schen in mir sah. Das klingt jetzt wie­der pathe­tisch. Ja, die­ser gan­ze Ein­trag ist pathe­tisch. Aber er hat doch auch mit dem The­ma „Hei­mat“ zu tun. Hei­mat ist dort, wo man sich wohl fühlt. Oder wo man sich ein­mal sehr wohl gefühlt hat. Wo du nichts leis­ten musst son­dern ein­fach sein darfst. Und dass wir die­se ver­damm­te Fami­li­en­krank­heit end­lich able­gen soll­ten, den­ke ich. Heu­te sind wir essen gegan­gen, mei­ne Mut­ter und ich. Hat­ten nur zwei Stun­den, aber die­se ein­mal wie­der nur für uns. Dass das sehr schön ist, wenn die Mut­ter einem gegen­über­sitzt und man merkt, dass da was fließt. Dass es da heu­te nicht mehr dar­um geht, ob die Zeich­nung auch schön genug ist und der Mut­ter gefal­len wird. Dass du da als Toch­ter sit­zen kannst und weißt: Dei­ner Mut­ter ist es im Grun­de genom­men egal, ob dein Roman ein Erfolg wird oder nicht – weil es gar nicht dar­um geht. Nach all den Kämp­fen lag der Boden ver­wüs­tet da. Heu­te wach­sen dar­auf Blu­men. Und dann fährst du zu dei­ner Groß­mutter und auf ein­mal weißt du: die­se Kämp­fe hat es immer gege­ben. Lan­ge vor dei­ner Zeit. Die Groß­mutter, die Mit­te Acht­zig ist und gera­de aus dem KH ent­las­sen wur­de, spricht davon, das Abstell­kam­merl im Gar­ten auf­räu­men zu müs­sen. Irgend­wann, dem­nächst. Was heißt: Nicht jetzt, du bist die Enkel­toch­ter und Enkel­töch­ter ver­wöhnt man mit Kuchen (Iss noch ein Stück) und Kaf­fee (Schenk dir noch nach!). Und du sagst: Oma, das ist ein Abstell­kam­merl, das muss man nicht zusam­men­räu­men, sieht doch eh kei­ner hin­ein. Und sie sagt: Oja, ich zieh mich da drin­nen um. Für die Gar­ten­ar­beit. Weil die Büsche geschnit­ten gehö­ren. Und du siehst die in dei­nen Augen per­fekt geschnit­te­nen Büsche und denkst: Unser Per­fek­tio­nis­mus heu­te liegt woan­ders begra­ben. Wir war­ten unse­re Blogs und wol­len das per­fek­te Out­fit für unse­re Lite­ra­tur­zeit­schrif­ten. Machen uns fer­tig, wenn da eine Zei­le hin­un­ter­rutscht oder die Dru­cke­rei die alten Druck­da­ten noch­mals druckt. Ich den­ke an die Frau im Super­markt. Sie wür­de den Kopf schüt­teln. Musst du auf­pas­sen, Mäd­chen, wür­de sie sagen und mit­lei­dig den Kopf schüt­teln. Viel­leicht hat sie Söh­ne, viel­leicht auch eine Toch­ter. Viel­leicht hat sie den Ein­kaufs­wa­gen müh­sam durch die Gän­ge gescho­ben um für ihre Enkel­kin­der zu kochen, weil die Söh­ne Web­sites erstel­len und die Schwie­ger­töch­ter im Büro sit­zen. Viel­leicht ist das jetzt wie­der ein Kli­schee. Aber auch wenn es so ist, weiß ich: Groß­müt­ter sind eine tol­le Erfin­dung. Der Kampf fin­det immer zwi­schen Mut­ter und Toch­ter statt, nie zwi­schen Groß­mutter und Enkel­toch­ter. Da gibt es ande­re Din­ge, spä­ter – das Erwach­sen­wer­den zum Bei­spiel, das den Groß­müt­tern weh tut, weil du dann nicht mehr jede Feri­en kommst. Mei­ne Mut­ter ist heu­te auch eine Groß­mutter. Sie wuzelt sich mit mei­nem klei­nen Nef­fen am Boden und zeigt ihm, wie man die Blu­men gießt. Sie hat eine Engels­ge­duld obwohl sie hun­dert­tau­send Din­ge zu erle­di­gen hat. Mei­ne Mut­ter sagt Hop­pa­la, wenn mein Nef­fe etwas durch die Gegend wirft. Groß­müt­ter han­deln mit Herz und sie han­deln aus dem Bauch her­aus, weil sie kei­ne Erzie­hungs­ar­beit leis­ten müs­sen. Das macht sie zu den wun­der­bars­ten Wesen auf der Welt – eben­so wie frem­de Müt­ter. Mein Vater moch­te sei­ne Schwie­ger­mut­ter, mei­ne Mut­ter wie­der­um die Mut­ter mei­nes Vaters. Mit den eige­nen Müt­tern taten sie sich ziem­lich lan­ge schwer. Mei­ne Groß­mutter sitzt heu­te mit ihren 85 im Gar­ten­stuhl und erzählt mir von ihrer Mut­ter. Was für eine groß­ar­ti­ge Frau sie gewe­sen sei. Und ich fra­ge mich: Hat es die­se Kämp­fe zwi­schen ihnen nicht gege­ben? War da wirk­lich alles so har­mo­nisch? Oder kam das auch erst spä­ter – als mei­ne Oma die 30 über­schrit­ten hat­te und selbst Mut­ter wur­de. Mei­ne Ver­wand­te aus Juden­burg ist jeden­falls der fes­ten Über­zeu­gung: Dei­ner Mut­ter ver­zeihst du spä­tes­tens dann, wenn du selbst Kin­der hast. Da kommst du erst drauf, wie schwer es ist, Mut­ter zu sein. M. hat Ahnung davon, wie es ist, Mut­ter von Töch­tern zu sein. Sie hat 3 davon – eben­so wie damals ihre Mut­ter. Ich sehe M. erstaunt an. Was gibt es denn da zu ver­zei­hen? Für mich war mei­ne Tan­te B. die per­fek­te Mut­ter und Oma. „Lei­der“ war sie nur mei­ne Groß­tan­te. Aber wäre ich ihre Toch­ter gewe­sen, hät­te ich bestimmt anders gedacht. Tan­te B.s Kin­der waren näm­lich alle in mei­ne Oma ver­narrt, wäh­rend die Kin­der mei­ner Oma alle in Tan­te B. ver­narrt waren. Hät­ten die Schwes­tern vor 50 Jah­ren den Kin­der­tausch gewagt, hät­ten sie wohl wöchent­lich tau­schen müs­sen. Was mich wie­der dar­an erin­nert, dass ich mir als Kind fest ein­ge­bil­det habe, ver­tauscht wor­den zu sein. Ich war ver­narrt in die ita­lie­ni­sche Spra­che und in die ita­lie­ni­sche Musik (was dar­an lag, dass mei­ne Tan­te Ita­lie­nisch stu­dier­te). Und natür­lich war ich das Kind einer Ita­lie­ne­rin! Heu­te habe ich eine ita­lie­ni­sche Stief­mut­ter. Und kom­me drauf: Die Nea­po­li­ta­ne­rin­nen sind auch nicht gera­de die ein­fachs­ten Müt­ter!