Billigcontent Blues.
Ich schaue meinem Mann ins Gesicht. Seine Augen sind geschlossen, wir liegen im Bett, es ist kurz nach halb sieben.
„Immer dasselbe langweilige Ritual“, sagt er, als er die Augen aufschlägt. „Aufstehen, Kaffeemaschine einschalten, Zähne putzen, Käsebrot essen, aufs Klo gehen, duschen, anziehen und in die Schuhe schlüpfen.“
„Ich schlüpfe morgens nie in die Schuhe“, sage ich.
Manchmal sitze ich bis zur Mittagszeit im Morgenmantel. Ich öffne das Fenster und setze mich auf das Fensterbrett. Rutsche wieder herunter, gehe zum Schreibtisch und ziehe die unterste Lade meines Schreibtisches auf. Greife bis ganz nach hinten, ertaste die Zigarettenpackung.
Ich breche unsere Vereinbarung. Mein Mann wird es ahnen, wenn er nach Hause kommt, er hat eine sensible Nase.
Unter unserem Fenster stehen die elektrischen Flottenfahrzeuge der Post. Wenn ich auf dem Fensterbrett sitze, stehen einige Angestellten unter meinem Fenster, rauchen, reden und lachen. Sie sind gerade von ihrer Tour zurückgekommen oder noch nicht losgefahren. Ich rauche zu ihnen hinunter, sie rauchen zu mir herauf. In diesem einen Moment habe ich das Gefühl, zu ihnen zu gehören. Doch dann fällt mein Blick auf meinen Morgenmantel, auf den roten Frotteestoff. Ich stelle mir vor, was sie von mir denken. Arbeitslose Schlampe, sitzt da ungewaschen im Fenster und glotzt zu uns herunter.

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Texte 5
“satt“
mit Beiträgen von 22 Schriftsteller*innen
Hg. von Gernot Ragger
der wolf verlag, 2024
ISBN: 978–3‑903354–48‑7