Titel: Luft­ma­schen­ta­ge
Autor*in: Anne Becker
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Matea ist wahn­sin­nig schüch­tern. Selbst wenn sie in die Bäcke­rei geht, ist sie ner­vös, auch wenn sie immer nur den immer glei­chen (zuvor lan­ge geüb­ten) Satz sagen muss. 
Matea selbst stellt sich ihre Schüch­tern­heit als Tief­see­kra­ke vor. Die­se heißt „Madame Schüch­tern“ und sitzt in ihrem Bauch – auf einem super­be­que­men Sofa, wo sie manch­mal ganz ent­spannt Tee trinkt und fern­sieht, oder aber erschro­cken hoch­springt und mit ihren Ten­ta­keln fuch­telt.
Freun­din­nen hat Matea so gut wie kei­ne. Da gibt zwar Char­lot­te, aber die ist jetzt auch mit Fabi­en­ne befreun­det, und Fabi­en­ne wie­der­um ist echt ätzend zu Matea. Frü­her ein­mal gab es auch Frau Loo­se, die Matea das Häkeln bei­gebracht hat, aber die ist vor kur­zem gestor­ben und nun fehlt sie Matea sehr.

Der Roman beginnt jedoch spä­ter. Wir lesen eine pani­schen Sprach­nach­richt von Matea an Ric­ci. Doch wer ist die­se Ric­ci, die Matea offen­sicht­lich nicht mehr ant­wor­tet?
Nach und nach erle­ben wir in Rück­blen­den die gemein­sa­men Tage Mate­as und ihrer neu­en Freun­din Ricar­da, die aus einer ganz ande­ren Welt kommt als Matea selbst. Matea wächst in sehr behü­te­ten Ver­hält­nis­sen auf. Ihre Mut­ter ist Pfar­re­rin, sie ist immer da für die Pro­ble­me der Men­schen, und stets steht eine gepunk­te­te Tas­se bereit, für jene, die Trost oder auch ein­fach nur ein war­mes Getränk brau­chen. Auch Mate­as Vater begeg­net Matea mit viel Ver­ständ­nis, selbst das Ver­hält­nis zu ihrem älte­ren Bru­der ist ein herz­li­ches.
Dass mit Ricar­das Fami­lie etwas nicht stimmt, bekommt man schon sehr früh mit. Zu oft treibt sich die vor­lau­te Ric­ci allei­ne rum, auch wech­selt sie jedes Mal das The­ma, wenn Matea Fra­gen stellt oder vor­schlägt, zu Ric­ci zu gehen. Doch die bei­den ergän­zen sich und ihre Freund­schaft geht sehr schnell sehr tief. Ric­ci ist für Matea mutig – und bei Mate­as Fami­lie fin­det die völ­lig über­for­der­te Ric­ci, die aus pre­kä­ren Ver­hält­nis­se kommt, ein biss­chen Gebor­gen­heit. Bald über­nach­tet Ric­ci bei Matea und erlernt von ihr das Häkeln. Bei einer gemein­sam geplan­ten Gue­ril­la­hä­kel-Akti­on ver­lie­ben sich die Mäd­chen sogar. Doch dann erfährt Matea etwas über ihre Freun­din, was Ric­ci so unan­ge­nehm ist, dass sie Matea nicht mehr sehen möch­te…

Anne Becker erzählt eine zar­te, ein­fühl­sa­me Geschich­te von Freund­schaft und vor allem davon, dass Innen­le­ben und Außen­wir­kung oft ziem­lich gegen­sätz­lich sein kön­nen. Denn die Ich-Erzäh­le­rin Matea hat durch­aus viel zu sagen, auch wenn sie gegen­über ande­ren meist kein Wort raus­bringt, und die muti­ge, drauf­gän­ge­ri­sche Ric­ci lebt vor allem in Angst. Selbst die Neben­fi­gu­ren wer­den nicht ein­fach nur in „böse“ und „gut“ ein­ge­teilt. Denn wie sonst könn­te es sein, dass Char­lot­te Fabi­en­ne so ger­ne mag, obwohl sie zu Matea mobbt?

„Luft­ma­schen­ta­ge“ ist mit einer fei­nen Pri­se Humor und viel Warm­her­zig­keit gehä­kelt. Aber nicht nur. Denn durch die ver­zwei­fel­ten Sprach­nach­rich­ten von Matea an ihre ver­schwin­den Freun­din, die zwi­schen die die Erin­ne­run­gen an die gemein­sa­men Tage gescho­ben wer­den, wird die Span­nung so sehr sehr erhöht, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann. Was ist mit Ric­ci pas­siert? Wie­so mel­det sie sich nicht bei Matea? Und wie geht es wei­ter mit den bei­den Mäd­chen?
Die Span­nung, soviel kann ich hier schon mal ver­ra­ten, hält bis zum Schluss.

Fazit
Scha­de, dass Geschich­ten wie die­se immer weni­ger Platz in den Buch­hand­lun­gen ein­neh­men. Es sind näm­lich vor Bücher wie die­se, die Teen­agern hel­fen kön­nen, die Men­schen in ihrem Umfeld und deren Han­deln zu hin­ter­fra­gen und vor allem zu ler­nen: Nicht sel­ten ste­cken hin­ter ver­let­zen­dem Ver­hal­ten ein­fach nur Neid oder Unsi­cher­heit.

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Ein Hin­weis an die­ser Stel­le noch: Anne Becker war mir nicht unbe­kannt – ihr Buch „Die bes­te Bahn mei­nes Lebens“, das 2020 für den dt. Jugend­buch­preis nomi­niert war, hat mich im Som­mer vor 3 Jah­ren in sei­nen Bann gezo­gen. Anne Becker kann mit ganz weni­gen Mit­teln ganz gro­ße Geschich­ten erzäh­len, die direkt aus der Erfah­rungs­wert der Jugend­li­chen kom­men. 

Titel: LUFT­MA­SCHEN­TA­GE
Autor*in: Anne Becker
Ver­lag: Beltz & Gel­berg
Publi­ka­ti­ons­jahr: 2023
Sei­ten: 173
ISBN: 978–3‑7488–017
Alters­emp­feh­lung : ab 11