Mutig sein für die Kunst

Auch wenn es mir Men­schen, die glau­ben mich zu ken­nen, meist nicht abneh­men (weil ich so gern und so viel plau­de­re): Ich gehö­re eigent­lich zu den schüch­ter­nen Men­schen. Nichts ist mir pein­li­cher, als mit Frem­den in Kon­takt tre­ten zu müs­sen. Ich habe sie immer schon gehasst: Die Par­tys, bei denen sich eine Unmen­ge an Leu­ten durch den Raum bewegt – und ich mit­ten drun­ter. Kaum bleibt einer bei mir ste­hen, schon rennt er wei­ter zum nächs­ten und ich muss wie­der von vor­ne begin­nen. „Musst du mir immer hin­ter­drein­d­ackeln wie ein Hund?“, frag­te schon mei­ne Mut­ter. Also neh­me ich (so gut es geht) Abstand davon, Leu­ten, die ich auf Groß­ge­burts­tags­ver­an­stal­tun­gen und Ver­lags­fes­ten eben erst ken­nen gelernt habe, zu ver­fol­gen, sobald sie mei­nen Steh­tisch ver­las­sen.

Heut­zu­ta­ge gibt es ja Mails – eine groß­ar­ti­ge Erfin­dung. Da muss man nur den Mut haben, auf Sen­den zu kli­cken (Augen zu und durch) und dann sieht man eh. Und meist ist es dann ja ganz ein­fach.

Als Artist in Resi­dence ist direk­ter Kon­takt zur Bevöl­ke­rung erwünscht. Zusam­men­ar­beit mit Insti­tu­tio­nen und Pro­jek­te, in die die Juden­bur­ge­rIn­nen ein­ge­bun­den wer­den, kom­men hier noch gut an. „Du hast eh kein Pro­blem damit, du bist ja eine Kom­mu­ni­ka­ti­ve“. Sag­te S. Ich wider­sprach nicht, denn man wird ja ger­ne als der Mensch wahr­ge­nom­men, der man ger­ne wäre. Kom­mu­ni­ka­tiv, offen, mutig. Die ers­ten zwei Eigen­schaf­ten tref­fen wohl zu, aber der Mut ist nicht so mein Ding. Wes­we­gen ich auch beim Slam­men kläg­lich ver­sag­te. „Dein Text war schon ver­dammt gut, aber dei­ne Per­fo­mance – nun ja. Man hat­te nicht das Gefühl, dass du ger­ne da oben stehst“, bekam ich als Rück­mel­dung. Wie wahr. Ich spie­le nicht ger­ne den Unter­hal­ter für die ande­ren, schon gar nicht auf einer Büh­ne. Ich lese lie­ber im Sit­zen, mit einem Glas Was­ser und einer Tisch­lam­pe. Im Ste­hen zit­tern mir die Knie und grel­les Schein­wer­fer­licht mag ich auch nicht. Wenn ich lese, hof­fe ich, die Leu­te in eine ande­re Welt zu ent­füh­ren. Für mich muss man nicht grö­len und krei­schen – und schon gar nicht ein Kärt­chen mit einer Bewer­tung in die Höhe hal­ten. Ich freue mich über Zuhö­rer, die nach der Lesung zu mir kom­men und mit mir ein Glas Wein trin­ken. Ganz gemüt­lich, beim Tisch.

Letz­te Woche habe ich mich mit den Jun­den­bur­ger Schu­len ver­netzt. Das ging leicht, da schick­te ich vor­ab ein Mail. Die Päd­ago­gIn­nen  hier sind sehr inter­es­siert – heu­te habe ich mich mit einer Lehr­kraft aus  der BAK­IP getrof­fen, mor­gen stat­te ich dem Gym­na­si­um einen Besuch ab. Die Lite­ra­tur­pro­jek­te sprie­ßen nur so in Juden­burg – Schrei­ben zu Bil­dern, Früh­lings­li­te­ra­tur und sogar einen sms-Wert­her-Roman hat man hier schon pro­du­ziert.

Heu­te war es außer­dem mei­ne Auf­ga­be, Fly­er zu ver­tei­len. „Leg sie bit­te nicht nur auf, son­dern drück sie den Leu­ten per­sön­lich in die Hand“, hieß es. Ging also am Café vor­bei, wo alle in der Son­ne saßen und konn­te mir vor­stel­len, wie sich ein Augus­tin-Ver­käu­fer fühlt. Dabei habe ich noch einen Vor­teil: Mei­ne POET­REE-Fly­er kos­ten nichts. Ich erzähl­te ein biss­chen übers Pro­jekt und han­tel­te mich von Tisch zu Tisch. Man­che zeig­ten Inter­es­se,  ande­re sahen mich eher als läs­ti­ge Fleisch­flie­ge, die da an ihren Tisch geschwirrt kam. End­lich war ich durch. Die 3 Men­schen vor der Eis­die­le, so beschloss ich, sahen nicht sehr freund­lich und lite­ra­tur­in­ter­es­siert aus, also ging ich vor­bei. Bestück­te noch Bil­la, Bipa, Mora­wa und Tou­ris­ten­in­fo. Danach muss­te ich mich ent­span­nen – zu den Scha­fen hoch­wan­dern. Die blök­ten zwar ganz ent­setzt, aber wenigs­tens muss­te ich ihnen kei­ne Fly­er in die Hufe drü­cken. Glau­be nicht, dass Scha­fe sich für Lite­ra­tur inter­es­sie­ren.

Am Weg zurück bestück­te ich dann sämt­li­che Post­käs­ten. Ob ich etwas Bestimm­tes suche, frag­te man mich beim Wey­er Schloss. „Äh nein, ich…“, begann ich zu stot­tern. Aber dann fiel mir ein: „Ich bin hier gera­de Artist in Resi­dence!“. Mit dem Satz­be­ginn hast du einen bes­se­ren Start. Artist in Resi­dence, das klingt halt schon bes­ser als uner­wünsch­ter Flug­zet­tel­ver­tei­ler.

Merk­te mir den Satz­an­fang und spa­zier­te zur Raiff­ei­sen-Bank, um Kulis zu schnor­ren. Hät­ten sie kei­ne mehr, erst in einem Monat wie­der hieß es. Ging wei­ter zur Hypo-Bank und hin­ter­ließ dort Fly­er, Name und Tele­fon­num­mer. Mor­gen sei der Chef da, da sol­le ich noch­mals kom­men.

Fra­ge mich, war­um sich jeder so über die Bett­ler in Wiens Stra­ßen auf­regt. Als wür­den die dort ger­ne sit­zen und den Becher mit einem Bit­te­schön-Dan­ke­schön den Vor­bei­ei­len­den hin­hal­ten.

Ich bin Artist in Resi­dence. Mei­ne Auf­ga­be besteht unter ande­rem dar­in, die Leu­te hier über mein Pro­jekt zu infor­mie­ren und sie so gut es geht in mei­ne Arbeit ein­zu­bin­den. – Nennt man das dann orga­ni­sier­te Bet­te­lei? Egal, mor­gen ver­tei­le ich die rest­li­chen Fly­er!