Titel: Internat
Autor: Serhij Zhadan
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Der Roman „Internat“ des ukrainischen Autors Serhij Zhadan stand seit März 2022 auf meiner Leseliste. Traurig genug, dass es zu einem Krieg kommen musste, um den Autor damals für mich zu entdecken (Mesopotamien habe ich in unserer Radiosendung im Frühjahr 2022 vorgestellt.)
In „Internat“ holt Pascha, der Ukrainisch-Lehrer, seinen Neffen vom Internat ab, denn der Großvater hat sich das so gewünscht. Die Mutter des Jungen, eine Zugschaffnerin, ist abwesend – nicht nur an jenem Tag, sondern überhaupt, denn sie ist mit ihrem Sohn überfordert. Die Familienstrukturen begreift man erst nach und nach, denn mit jedem Kapitel lernen wir zuerst Pascha und schließlich auch seinen Neffen besser kennen.
Die Handlung erstreckt sich nur über sehr kurze Zeit – vom Aufbruch Paschas bis zum Nachhausekommen.
Der Weg zum Internat, das auf der anderen Seite der Stadt liegt, und zurück gestaltet sich schwierig, denn Pascha muss die Frontlinie passieren, um seinen Neffen nach Hause holen zu können.
Serhij Zhadan schafft es, uns, die wir seit jeher im Frieden leben, den Krieg näherzubringen – mit all seinen „Begleiterscheinungen“. Das Buch erschien 2018, geschildert werden also die Kampfhandlungen in der Ostukraine.
Plötzlich gilt nichts mehr, was bisher galt .Pascha selbst ist kein politischer Mensch, er ist einer, der sich gern aus allem raushält, der seinen Fernseher bewusst nicht aufdreht. Aber man entkommt der Politik nicht und auch nicht dem Krieg – nicht, wenn man am falschen Ort lebt. Der Lehrer, der das Fach, das er unterrichtet, tunlichst verschweigen möchte, gerät zunehmend in Bedrängnis, denn es ist kein Durchkommen von A nach B, das zivile Leben ist zusammengebrochen und mehr als einmal gerät Pascha mit seinen (wechselnden) Mitreisenden unter Beschuss.
Es sind die Menschen, denen Pascha begegnet und ihre diversen Schicksale , die diesen Roman so unglaublich traurig und schön zugleich machen.
Ich selbst habe den Roman zwar zu lesen begonnen, während meiner vielen Bahnfahrten dann aber doch lieber als Hörbuch konsumiert. Und das war wahrscheinlich gut, da ich beim Lesen durchaus dazu neige, Texte zu schnell zu konsumieren. Beim Hören entfalten sich Zhadans Sätze erst so richtig, denn sie kommen beim Sprechen mit der nötigen Langsamkeit daher, sodass ich insgesamt doch sehr viele Stunden Zeit hatte, um in die Sprache des Autors einzutauchen. Eine Sprache, die mich dermaßen begeistert, dass ich trotz des traurigen Themas einen Hörgenuss empfand wie nur selten. (Was natürlich auch am Sprecher lag).
An dieser Stelle also eine Hör-Empfehlung – nicht nur für jene, die sich für das Thema interessieren, sondern auch und vor allem für all jene, die wie Pascha ticken und am liebsten gar keine Nachrichten aufdrehen würden. Zhadan beweist, dass Literatur vermag, was Nachrichten allein nicht können: Sie bringt uns die Menschen hinter den Fakten und Zahlen näher.
Titel: Internat
Autor: Serhij Zhadan
Übersetzung: Juri Durkot, Sabine Stöhr
Verlag: Suhrkamp
Publikationsjahr: 2018
Seiten: 300
ISBN: 978–3‑518–42805‑4
Hörbuch bei Audiobuch
ungekürzte Lesung
Sprecher: Frank Arnold
Dauer: 11,5 Stunden
EAN: 9788728366844