29.5., kurz nach Mitternacht. Vor ein paar Stunden fand unser “Event” im Štab Pogon statt.
D. liebt den Park unter meinem Fenster, denn es war der Park seiner Jugend..
Die echte Provokation, sagt er, fände nur auf der Straße statt. Um einer solchen Provokation, die man unbedingt als Annäherung verstehen müsse, zu begegnen, müsse man nach draußen treten, dorthin, wo man sich hinter den Büschen trifft – abseits des hellen Geschehens. In den Cafés als auf den Caféterrassen sei mit nichts Anderem als widerwärtiger Künstlichkeit zu rechnen. Nur hier, unter den Bäumen, auf dieser nassen Parkbank, auf der wir nun sitzen und rauchen und Bier aus Blechdosen ziehen, hätten wir vielleicht eine kleine Chance auf ein bisschen Echtheit.
Nach der Podiumsdiskussion bin ich enttäuscht. Ich erzähle D. von einer lahmen Diskussion, in der es am Ende nur bloß darum gegangen sei, wie der Österreichische Literaturbetrieb aussähe. Also ob ich das wüsste.
Ich interessiere mich nicht für den BETRIEB. Dennoch scheint es ihn zu geben, zumindest bilde ich mir ein, dass es mir besser ging, bevor ich um seine Existenz wusste.
Ich erzähle D. von der Diskussion in Banja Luka, vom Festival abseits des Festivals. Wie wir mit hochroten Köpfen dagesessen hätten, als es hieß, wir Österreicher hätten Blut an unseren Händen.
Heute sprachen alle von Mozart, Bier und Sachertorte. Immerhin Bier und nicht Wein. Das Wort Ibiza nahm niemand in den Mund.
Stattdessen brach eine Diskussion aus, wo der Balkan begänne. S., die alles Jugoslawisch-Nostalgische hasst und stattdessen das Habsburgisch-Alte verehrt, die jede Blümchen-Porzellantasse mit Goldrand, jeden Thonet-Stuhl mit der guten alte Monarchie in Verbindung bringt, sagte vorhin: Der dunkle Balkan begänne – Dank Österreich – hinter Belgrad. J. konterte: Nein, der Balkan, der begänne bereits hinter der Donau. Ende der Vojvodina, Pančevo sei immer schon Grenzstadt gewesen. Das sei so geblieben, bis heute.
Ich denke an meinen Bekannten aus Salzburg, der meint, der Balkan begänne in Graz.
Heute hat man mich nach Vorurteilen der ÖsterreicherInnen gegenüber den Serben gefragt. Ich habe mich daran erinnert, dass unser Mittlerweile-Ex-Vizekanzler mit der Brojanica rumlief, um auf Stimmenfang zu gehen. Habe an Handke gedacht, dessen Meinung in Österreich – anders als hier – alles andere als populär ist. Habe an M. gedacht, zu dem wir in den Urlaub fahren. M., der Kroate, der uns zu oft vom Krieg erzählt hat. Habe auch an meine Kindheit in Ottakring gedacht. An das Wort, das man in meiner Familie verwendet hat, wenn man von den Jugoslawen in unserem Bezirk sprach. Es war kein nettes Wort.
Die Österreichisch-Serbische Freundschaft, von der hier alle sprechen, wenn sie neben mir sitzen, die gibt es nicht. Sage ich zu D., als wir auf der Parkbank sitzen. Die österreichisch-serbische Freundschaft gäbe es nur zwischen unserem Mittlerweile-Ex-Vizekanzler und dem hiesigen Ministerpräsidenten. Und zwischen uns Artists-in-Residence-AutorInnen, sagt D., der mal als solcher in Wien war. Der sich im Wien immer wieder anpöbeln lassen musste, wie er mir erzählt hat.
In der Botschaft ist man mittlerweile nervös. Wird die Außenministerin bleiben oder wird es einen Wechsel geben?
S. sagt: Der Unterschied zwischen Serbien und Österreich bestehe darin, dass so ein Ibiza-Video in Serbien keinen Unterschied machen würde.
Demokratie erkennt man daran, ob jemand zurücktreten muss, der Scheiße gebaut hat. In Serbien stecken wir schon so tief in der Scheiße, dass es niemanden mehr interessiert. Irgendwann geht einem die Kraft aus.