18. Mai 2019/ Bel­grad

Der ers­te wirk­lich hei­ße, son­ni­ge Mai-Nach­mit­tag. Über der Rede unse­res Bun­des­prä­si­den­ten habe ich die Zeit über­se­hen, ich het­ze zur Sta­ti­on, sehe dem Bus nach, wie er auf die Brü­cke fährt. Das ille­ga­le Lini­en­ta­xi fährt ein paar Minu­ten spä­ter ab, auf der Brü­cke wie­der Stau. Ich tip­pe in das Feld mei­nes Face­book-Mes­sen­gers, schrei­be, dass ich mich ver­spä­ten wer­de.

In Bel­grad schlüp­fe ich auf offe­ner Stra­ße aus mei­ner Strumpf­ho­se und hetz­te die Stra­ße hin­un­ter.
S. war­tet bereits am Treff­punkt. Wir schlen­dern durch die Gas­sen des jüdi­schen Vier­tels in Dorćol, schla­gen den Weg hin­un­ter zur Donau ein. S. zeigt mir das städ­ti­sche Schwimm­bad und erzählt mir von den Bade­plät­zen an der Save. Auf den Bän­ken am Donau­ufer sit­zen Pär­chen und Fami­li­en und genie­ßen die Son­nen­strah­len, neben uns sur­ren Fahr­rä­der vor­bei.

S. sagt: Der Unter­schied zwi­schen Ser­bi­en und Öster­reich bestehe dar­in, dass so ein Ibi­za-Video in Ser­bi­en kei­nen Unter­schied machen wür­de. In Ser­bi­en ste­cken wir schon so tief in der Schei­ße, dass es nie­man­den mehr inter­es­siert. Irgend­wann geht einem die Kraft aus.

Wir lan­den im Viva, einer Art Hips­ter-Bis­tro, der Gast­gar­ten befin­det sich auf dem Was­ser. Aus­flugs­boo­te zie­hen vor­bei, Men­schen win­ken. Wir schau­keln auf den Wel­len, trin­ken den haus­ei­ge­nen Eis­tee und schmö­kern in der Spei­se­kar­te. Ich bin auf der Suche nach einer war­men Mahl­zeit, die nicht zu schwer im Magen lie­gen soll. 

Fisch­sup­pe, hieß es, die soll ich hier essen.
Ich ken­ne nur die fran­zö­si­sche Bouil­la­baisse (die ich nicht in der Pro­vence, son­dern in Miami geges­sen habe), bin zuerst skep­tisch, bestel­le sie dann aber doch.
Ich wer­de nicht ent­täuscht, nach den ers­ten Löf­feln ahne ich, dass ich, wenn ich wie­der zu Hau­se, nach einem Rezept suchen muss. Zuhau­se bin ich kei­ne Restau­rant-Gehe­rin, ich koche lie­ber selbst und hal­te mich von den Men­schen fern.

Die Eis­pa­la­tschin­ken ver­kle­ben uns dann end­gül­tig den Magen, sodass wir unser Vor­ha­ben, in den Bel­gra­der Kon­di­to­rei­en nach den tra­di­tio­nel­len Süßig­kei­ten der ehe­ma­li­gen Donau­mon­ar­chie zu suchen, auf einen ande­ren Tag ver­schie­ben.
Zurück neh­men wir den Bus. S. holt Bora Ćosićs Früh­stück im Maje­s­tic aus dem Regal, für den Fall, dass wir doch noch in einer der Kon­di­to­rei­en foto­gra­fie­ren. Danach schlep­pen uns mit unse­ren schwe­ren Mägen Rich­tung Muse­um.

S.ist auf­ge­regt, seit Wochen freut sie sich auf die Lan­ge Nacht der Muse­en, und auf die­se Aus­stel­lung ganz beson­ders. Man wis­se so wenig über die­se Zeit, sagt sie, als sie zum dicken Aus­tel­lungs­ka­ta­log greift. Lei­der gibt es den nur in ser­bi­scher Spra­che, da die Dru­cke­rei, trotz recht­zei­tig erfolg­ten Auf­trags, nicht mit der eng­li­schen Aus­ga­be fer­tig gewor­den sei.
S. ärger sich. Das ist wie­der mal so typisch, sagt sie.

Ich lese die Tafeln. In den zwei Jahr­zehn­ten nach der Erobe­rung Bel­grads durch die kai­ser­li­chen Trup­pen im Jahr 1717 (Prinz Eugen, der edle Rit­ter, rat­tert es durch mei­nen Kopf), hat sich die ori­en­ta­li­sche Stadt in eine moder­ne, euro­päi­sche ver­wan­delt. Men­schen aus ganz Euro­pa sie­del­ten sich in Bel­grad an, Händ­ler, Hand­wer­ker, Kriegs­ve­te­ra­nen. Sie zogen in die von den Tür­ken zurück­ge­las­se­nen Häu­ser, aus Moscheen wur­den Kir­chen, Stra­ßen wur­den befes­tigt, neue Gebäu­de wuch­sen aus dem Boden. Bel­grad hat­te nun einen deut­schen und einen ser­bi­schen Teil.
Die neu­en, baro­cken Fas­sa­den präg­ten das Stadt­bild: Kaser­nen, Kran­ken­häu­ser, Apo­the­ken, Klös­ter, Schu­len. Stadt­mau­ern wur­den errich­tet, vier brei­te Haupt­stra­ßen führ­ten durch die Stadt.  Die Bel­gra­der Fes­tung wur­de moder­ni­siert und erwei­tert, sie dien­te als Haupt­fes­tung gegen die Osma­nen. Ich lese den Namen Vau­ban und bewun­de­re das Minia­tur­mo­dell in der Mit­te des Rau­mes.
Bel­grad, den­ke ich, muss damals aus­ge­se­hen haben wie eine rie­si­ge Bau­stel­le. Und dann, noch wäh­rend die neue Stadt aus dem Boden wächst, wird sie wie­der zer­stört. 1739 die Rück­erobe­rung durch das Osma­ni­sche Reich. Die vor­ge­nom­me­nen Arbei­ten an der Fes­tung wer­den gesprengt, sie sol­len unbrauch­bar sein, wenn die Tür­ken die Stadt über­neh­men. Die Bewoh­ner packen ihre Sachen und zie­hen nach Nor­den, die baro­cken Fas­sa­den ver­schwin­den, die Stadt erhält ihr ori­en­ta­li­sches Aus­se­hen zurück.
Ich stel­le mir vor, wie das gewe­sen sein muss. Damals, als Ein­woh­ner in Bel­grad.

Ich wan­de­re durch den Raum, lese Infor­ma­ti­ons­ta­feln. Betrach­te alte Haar­käm­me, Apo­the­ke­ru­ten­si­li­en. Ess­ge­schirr, Krü­ge, Medail­len und Mün­zen. Illus­tra­tio­nen von Gre­na­die­ren, Dra­go­nern, und Hand­wer­kern.

Nach zwei Stun­den tre­ten wir ins Freie und grei­fen dank­bar nach der Dose mit dem Tonic Water, das man uns über­reicht. Set­zen uns auf das Mäu­er­chen und war­ten auf V.

Vor der Moschee eine Men­schen­schlan­ge. Also doch rauf zur Fes­tung, deren einst baro­ckes Aus­se­hen wir vor­hin in Minia­tur­form gese­hen haben. Heu­te lie­gen unter den Wän­den die eins­ti­gen Hel­den des Par­ti­sa­nen­kriegs begra­ben, vie­le der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on wis­sen kaum etwas über sie, irgend­wel­che Sta­tu­en, Köp­fe einer längst ver­ges­se­nen Zeit. 

Auf unse­rem Weg wer­den wir vom Regen­guss über­rascht. S,. V. und ich fin­den Unter­schlupf in einer Bar – im obers­ten Stock eines Ein­kauf­cen­ters. Weil es hier eine tol­le Aus­sicht gibt, hat V. sie vor­ge­schla­gen, nun aber kön­nen wir die Dach­ter­ras­se nicht nut­zen.

Wir trin­ken Wein, S. ist schon wie­der hung­rig. Easy to love, but hard to feed, lacht V.
Hin­ter den Schei­ben pras­seln die Regen­trop­fen eine schnel­le Pol­ka auf die Holz­flie­sen. Von hier bis zum Lini­en­ta­xi sind es vier­zig Geh­mi­nu­ten. 

Ich knül­le mei­ne Ein­tritts­kar­te zusam­men und ste­cke sie in die Jacken­ta­sche. Span­ne den Schirm auf und schul­te­re mei­nen Ruck­sack. V. beglei­tet mich zum Trg Repu­bli­ke zeigt mir den Weg. Dort drü­ben, die Fran­cus­ka hin­un­ter. V.s Bus liegt in der ande­ren Rich­tung. vVor­hin sind wir an sei­ner Sta­ti­on vor­bei­ge­kom­men, doch er hat strik­te Anwei­sun­gen von S., mich um die gro­ße Bau­stel­le her­um­zu­füh­ren, bis zur Stra­ße. Kei­ne Sor­ge, wie­der­ho­le ich, ich hab doch Google.

Die Bel­gra­der füh­ren ihre Hun­de durch den Regen spa­zie­ren. Mei­ne Füße schwim­men in den Schu­len und fär­ben mei­ne Zehen von Neu­em rot. Der klei­ne Bus steht schon da. Ich schütt­le mei­nen Knirps aus und fal­te ihn zusam­men. Dann hole ich die Ein­tritts­kar­te aus mei­ner Jacken­ta­sche, zer­knül­le sie und wer­fe sie in den Mist­kü­bel.

Nach­trag: Die tra­di­tio­nel­le Fisch­sup­pe der Voj­vo­di­na wird im Kes­sel gekocht. Dabei wird die Sup­pe nicht umge­rührt, son­dern leicht geschüt­telt, damit der Fisch nicht zer­fällt.

Zuta­ten: 
Fisch, davon ca. 2/3 Karp­fen
Zwie­beln 
Papri­ka­pul­ver
Toma­ten­saft 
Chi­li
Salz